24.07.2018

Was tun bei drohendem Beweisverlust? – Ein Überblick über das selbständige Beweisverfahren

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Hintergrund

24.07.2018

Was tun bei drohendem Beweisverlust? – Ein Überblick über das selbständige Beweisverfahren

Für so manchen Hausbauer eine leidlich bekannte Situation: Während des Hausbaus stellt der Bauherr Mängel fest, die der ausführende Handwerker bestreitet. Der Hausbau soll möglichst schnell vorangetrieben werden, wodurch der Mangelnachweis jedoch unmöglich gemacht würde. Was ist dem Bauherrn in dieser Lage zu raten?


Handlungsmöglichkeiten
Eine erste Möglichkeit ist es, Klage zu erheben und in einem Hauptsacheverfahren eine Beweisaufnahme abzuwarten. Aber: Dies würde zwar das Interesse des Bauherrn an einer Beweissicherung befriedigen. Da der Bau jedoch für die Länge des Verfahrens unterbrochen werden müsste, würde es die Fertigstellung des Hauses erheblich verzögern und somit letztlich nicht den Interessen des Bauherrn an einer zügigen Fertigstellung des Hausbaus gerecht werden.

Als zweite Option kommt vor diesem Hintergrund die Beauftragung eines Gutachters mit einem Privatgutachten über die etwaigen Mängel in Betracht. Im Gegensatz zu einer Klage würde dies Zeit sparen, denn der Bau kann nach der Begutachtung grundsätzlich direkt fortgesetzt werden. Dabei ist allerdings zu beachten, dass ein von einer Partei einseitig eingeschalteter Gutachter nicht die Gewähr der Unabhängigkeit eines gerichtlich bestellten Sachverständigen bietet, weshalb Privatgutachten nach der Zivilprozessordnung (ZPO) nur die Wirkung eines Parteivortrags zukommt, nicht jedoch die eines Beweismittels. Ein Privatgutachten kann daher nur als qualifizierter Prozessvortrag in den Prozess eingeführt werden, was aber dazu führt, dass erhöhte Substantiierungsanforderungen an den Vortrag der erwidernden Gegenseite gestellt werden und einfaches Bestreiten mithin nicht mehr möglich ist.

Nachteilig ist an einem Privatgutachten darüber hinaus, dass es nicht die Verjährung des Anspruchs hemmt. Zudem erfolgt eine Erstattung der Kosten für das Privatgutachten nur dann, wenn das Gericht ein solches Gutachten zur Bewertung der Prozessaussichten und zur Stützung des eigenen Sachvortrags für erforderlich hielt, was zu Unsicherheiten hinsichtlich der Kostenerstattung führen kann.

Die dritte und interessengerechteste Möglichkeit ist daher das in den §§ 485 bis 494a ZPO geregelte selbständige Beweisverfahren. Dieses stellt ein eigenes gerichtliches Verfahren dar, das während und auch außerhalb eines Hauptsacheverfahrens unter bestimmten Voraussetzungen eine eigenständige Beweisaufnahme ermöglicht.

Voraussetzungen für ein selbständiges Beweisverfahren
Voraussetzung für die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens, ist ein Antrag auf dessen Durchführung. Dabei können während oder außerhalb eines Rechtsstreits gemäß § 485 Abs. 1 ZPO die Beweismittel „Zeuge“, „Sachverständiger“ und „Augenschein“ beantragt werden. Das Gericht ordnet dann die entsprechende Beweisaufnahme an, wenn der Gegner zustimmt, der Verlust des Beweismittels oder die Erschwerung seiner Benutzung droht. Ist noch kein Rechtsstreit anhängig, kann schon bei Darlegung eines rechtlichen Interesses im Sinne des § 485 Abs. 2 ZPO ein selbständiges Beweisverfahren durchgeführt werden, das jedoch auf den Sachverständigenbeweis beschränkt ist. Ein rechtliches Interesse an der Durchführung ist bereits dann anzunehmen, wenn es der Vermeidung eines Rechtsstreits dienen kann.

Im Antrag muss der Antragsteller gemäß § 487 ZPO die Gegenseite, die Tatsachen, über die Beweis erhoben werden soll und die Beweismittel benennen. Zudem muss er die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens und die die Zuständigkeit des Gerichts begründenden Tatsachen glaubhaft machen. Nur, wenn die konkret benannten Beweismittel unzulässig, oder offensichtlich ungeeignet sind oder Ansprüche evident nicht bestehen, ist der Antrag als unzulässig zurückzuweisen.

Zuständiges Gericht
Sofern ein Rechtsstreit bereits anhängig ist, ist das zuständige Gericht gemäß § 486 ZPO das Prozessgericht. Ansonsten ist der Antrag bei dem Gericht zu stellen, das nach dem Vortrag des Antragstellers auch für das Hauptsacheverfahren zuständig wäre. Bei dringender Gefahr, d. h. wenn eine sofort notwendige Beweiserhebung vor dem an sich zuständigen Gericht nicht mehr durchzuführen wäre, kann der Antrag auch bei dem Amtsgericht gestellt werden, in dessen Bezirk sich die zu vernehmende oder zu begutachtende Person aufhält oder sich die in Augenschein zu nehmende oder zu begutachtende Sache befindet.

Durchführung der Beweisaufnahme
Nach § 491 Abs. 1 ZPO ist der Antragsgegner so zeitig zu dem Beweisaufnahmetermin zu laden, dass er seine Rechte wahrnehmen kann. Andernfalls kann das Beweismittel gemäß § 493 Abs. 2 ZPO in einem sich gegebenenfalls anschließenden Hauptverfahren nicht verwertet werden. Im Übrigen erfolgt die Beweisaufnahme gemäß § 492 ZPO nach den für das jeweilige Beweismittel geltenden Vorschriften.

Kosten
Ist ein Rechtsstreit noch nicht anhängig, hat das Gericht gemäß § 494a Abs. 1 ZPO nach Beendigung der Beweiserhebung dem Antragsteller auf Antrag der Gegenseite eine Frist zur Klageerhebung zu setzen. Erhebt der Antragsteller daraufhin nicht fristgerecht Klage, sind ihm gemäß § 494a Abs. 2 ZPO – wiederum auf Antrag der Gegenseite hin – die dem Antragsgegner entstandenen Kosten aufzuerlegen. Im Übrigen ist für das selbständige Beweisverfahren keine besondere Kostenentscheidung vorgesehen. Im laufenden Hauptsacheverfahren handelt es sich bei der Beweiserhebung um Kosten des Rechtsstreits.

Streitwert
Der Gebührenstreitwert bemisst sich nach dem Sicherungsinteresse des Antragstellers und ist in der Regel mit dem vollen Wert der Hauptsache anzusetzen.

Folgen der Beweissicherung
Die Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens führt nur zu Tatsachenfeststellungen und keiner rechtlich wertenden Entscheidung. Insbesondere erhält der Antragsteller keinen Titel, mit dem er vollstrecken könnte. Ein Hauptsacheverfahren wird im Ergebnis dennoch oftmals vermieden, da die gutachterlichen Feststellungen die außergerichtliche Einigung fördern.

In einem eventuellen späteren Prozess können sich beide Parteien auf die rechtsverbindlich festgestellten Tatsachen des Beweissicherungsverfahrens berufen, genauso als wäre der Beweis im Hauptsacheverfahren erhoben worden. Auch die Streitverkündung ist zulässig, hinsichtlich des Ergebnisses des selbständigen Beweisverfahrens tritt insofern die Interventionswirkung des § 68 ZPO ein. Eine weitere Folge ist die Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 7 BGB.

Fazit
Bei drohendem Beweisverlust bietet das selbständige Beweisverfahren gegenüber dem Privatgutachten den Vorteil, dass es Tatsachen und Umstände für einen etwaigen Folgeprozess rechtsverbindlich feststellt. Es hemmt zudem die Verjährung genauso wie ein Hauptsacheverfahren, ist jedoch wesentlich schneller als dieses.

 

 

Dr. Stephan Bausch, D.U.
Rechtsanwalt
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Johanna Stenglein
Associate
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