08.12.2025
Das BAG hat mit Urteil vom 26. November 2025 – 5 AZR 118/23 erneut die Rechte von Teilzeitbeschäftigten gestärkt: Eine tarifvertragliche Bestimmung, nach der Mehrarbeitszuschläge erst ab der 41. Wochenstunde zu zahlen sind, diskriminiert gemäß den Erfurter Richtern diese Beschäftigtengruppe. Teilzeitkräfte haben damit Anspruch auf Auszahlung entsprechender Zuschläge, ohne dass die Tarifparteien zuvor Gelegenheit zur Nachbesserung der diskriminierenden Regelungen erhalten.
Der klagende Arbeitnehmer ist Teilzeitmitarbeiter mit 30,8 Wochenstunden bei der beklagten Arbeitgeberin. Für das Arbeitsverhältnis gilt der bayerische Groß- und Außenhandelsmanteltarifvertrag (nachfolgend „MTV“), der für Vollzeitbeschäftigte eine regelmäßige Wochenarbeitszeit von 38,5 Stunden vorsieht. Nach § 9 Ziff. 1 Abs. 2 MTV werden Überstundenzuschläge von 25 % erst ab der 41. Wochenstunde gezahlt, unabhängig vom Beschäftigungsumfang. Der Kläger sah darin eine Benachteiligung von Teilzeitkräften: Sie müssten im Verhältnis zu ihrer vertraglichen Arbeitszeit deutlich mehr leisten, um einen Zuschlag zu erhalten. Er forderte deshalb unter Berufung auf den Pro-rata-temporis-Grundsatz (§ 4 Abs. 1 TzBfG) eine anteilige Absenkung der Zuschlagsgrenze. Bei einer Teilzeitquote von rund 80 % müsse er dementsprechend bereits ab dem Überschreiten von 31,96 Wochenstunden (also 1,2 Stunden Mehrarbeit) einen Zuschlag erhalten, weshalb er die entsprechenden Mehrarbeitszuschläge verlangte. ArbG und LAG wiesen seine Klage bzw. seine Berufung ab und verwiesen auf die starre 40-Stunden-Grenze, die sie mit besonderen (Gesundheits-)Belastungen bei umfangreicher Arbeitszeit rechtfertigten. Sie räumten jedoch ein, dass Teilzeitkräfte diese Schwelle seltener erreichen.
Der Fünfte BAG-Senat hob die vorinstanzlichen Entscheidungen indes auf und verwies die Sache an das LAG zurück. In ihrem Urteil, zu dem bisher nur die Pressemitteilung vorliegt, entschieden die Erfurter Richter, dass dem Kläger die geltend gemachten Mehrarbeitszuschläge zustehen. Die tarifliche Regelung benachteilige Teilzeitbeschäftigte, da sie deren geringere Arbeitszeit nicht proportional berücksichtige. Teilzeitkräften stehe ein Anspruch auf Mehrarbeitszuschläge zu, sobald sie ihre individuelle Wochenarbeitszeit in dem Verhältnis überschreiten, in dem die Zuschlagsgrenze für Vollzeitkräfte (40 Stunden) zur tariflichen Regelarbeitszeit eines Vollzeitbeschäftigten (38,5 Stunden) steht. Diese Grenze sei demnach anteilig abzusenken.
Eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung – etwa mit besonderen Belastungen ab 40 Wochenstunden – lässt das BAG nicht gelten. Auch der Gesundheitsschutz rechtfertige keine Schlechterstellung von Teilzeitkräften, da auch sie bei Überschreitung ihrer individuellen Arbeitszeit vergleichbaren Belastungen ausgesetzt seien. Dazu erreichten Teilzeitkräfte die 40-Stunden-Grenze naturgemäß seltener, sodass eine Schlechterstellung ohne sachlichen Grund vorliege. Ferner sei aufgrund des unionsrechtlichen Bezugs von § 4 TzBfG keine bloße Willkürkontrolle vorzunehmen, sondern eine strenge Gleichbehandlungsprüfung. Eine vorrangige Gelegenheit zur Beseitigung der Diskriminierung gewährte das BAG den Tarifvertragsparteien indes nicht. Im Bereich unionsrechtlich geprägter Diskriminierungsverbote existiere kein Vorrang für eine tarifliche „Nachbesserung“. Die geltend gemachten Ansprüche stünden dem Kläger daher zu, mangels Feststellungen zur tatsächlich geleisteten Mehrarbeit verwies das BAG die Sache aber an das LAG zurück.
Das BAG formuliert erneut klare Anforderungen an die Wirksamkeit von Regelungen zu Mehrarbeit- bzw. Überstundenzuschlägen in Tarifverträgen und beeinflusst damit unmittelbar die Gestaltung tariflicher Arbeitszeit- und Vergütungsmodelle. Die Entscheidung fügt sich nahtlos in seine jüngere Rechtsprechung ein und bestätigt insbesondere ein Urteil des Achten Senats (BAG, Urteil vom 5.12.2024 – 8 AZR 370/20). Bereits darin stellte das BAG eine unzulässige Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten fest, wenn ein Tarifvertrag Überstundenzuschläge auch für diese erst ab Überschreitung der Wochenarbeitszeit von Vollzeitbeschäftigten vorsieht. Mit dem Urteil setzten die Erfurter Richter entsprechende Maßgaben des EuGH (aus dessen Urteilen vom 29.7.2024 – C 184/22 und C-185/22 – KfH Kuratorium für Dialyse und Nierentransplantation) zur Gleichbehandlungsrichtlinie 2006/54/EG um. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung sollte die Wirksamkeit bestehender Tarifvertragsklauseln zu Mehrarbeitszuschlägen kritisch überprüft werden; dies gilt in besonderem Maße für Tarifwerke mit starren Schwellenwerten für Überstunden- und Mehrarbeitszuschläge, wie sie etwa Teile des TVöD vorsehen. Gleiches betrifft Betriebsvereinbarungen und Arbeitsverträge, die entsprechende Bezugnahmeklauseln enthalten. Ebenfalls sollten mögliche rückwirkende Ansprüche im Blick behalten werden. Insoweit greifen die tariflichen Ausschlussfristen oder, sofern solche fehlen, die gesetzlichen Verjährungsfristen der §§ 194 ff. BGB.
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