15.01.2018

Emissionshandel: EuGH muß über kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten an Anlagen mit Industriekraftwerken entscheiden

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15.01.2018

Emissionshandel: EuGH muß über kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten an Anlagen mit Industriekraftwerken entscheiden

Der Klimaschutz und eines seiner politischen und rechtlichen Hauptinstrumente, der Emissionshandel nach der Richtlinie 2003/87/EG, beschäftigt immer wieder den Europäischen Gerichtshof (EuGH). Jüngster Fall dort ist ein von dem Verwaltungsgericht Berlin im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 Abs. 2 AEUV vorgelegter Fragenkomplex zur kostenlosen Zuteilung von Emissionszertifikaten für Industrieanlagen. Betroffen sind solche Anlagen, in denen neben der Produktion auch ein Industriekraftwerk zur Erzeugung von Strom und Wärme betrieben wird (Rs. C-682/17, ExxonMobil Production Deutschland GmbH).

Konkret möchte das Verwaltungsgericht von den Luxemburger Richtern wissen, ob eine Anlage, in der neben der Herstellung eines Produkts auch in einem Kraftwerk als Nebeneinrichtung Strom erzeugt wird, dann insgesamt als Stromerzeuger i.S.d. Art. 3 Buchstabe u) der Emissionshandelsrichtlinie gilt, wenn ein geringer Teil des Stroms in das öffentliche Netz eingespeist wird. Für den Fall einer Bejahung dieser Frage bittet das Verwaltungsgericht den Gerichtshof um Klärung, ob für eine solche Anlage auch dann eine kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten erfolgen darf, wenn die in dem Kraftwerk erzeugte Wärme nicht unter die in Art. 10 a Abs. 1 der Richtlinie 2003/87/EG genannten Kategorien der Erzeugung von Wärme aus der Verbrennung von Restgasen zur Herstellung von Strom, der Fernwärme oder der hocheffizienten Kraft-Wärme-Kopplung fällt.

Was zunächst eher technisch klingt, birgt erheblichen Zündstoff und Risiken für die europäische Industrie und kann weitreichende praktische Konsequenzen haben: Würde der EuGH die betroffenen Anlagen nämlich als Stromerzeuger im Sinne der Emissionshandelsrichtlinie einstufen und eine kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten an diese außerhalb der vom Verwaltungsgericht Berlin angesprochenen Kategorien ablehnen, hätten zahlreiche Industrieanlagen seit 2013 keine kostenlosen Emissionsberechtigungen erhalten dürfen! In der Praxis könnte dies dann als worst-case-Szenario die Rückforderung von Emissionszertifikaten durch die zuständigen Behörden – in Deutschland die Deutsche Emissionshandelsstelle im Umweltbundesamt – zur Folge haben.

Es ist allerdings eher unwahrscheinlich, daß es zu dieser harschen Folge kommen wird. Die Berliner Verwaltungsrichter selbst schlagen in ihrem Vorabentscheidungsgesuch dem EuGH vor, die kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten an die betroffenen Anlagen als europarechtskonform einzustufen. Sie begründen dies im Ergebnis mit einer teleologischen Reduktion des ihnen zu weit geratenen Wortlauts der Emissionshandelsrichtlinie. Der europäische Gesetzgeber habe im Kern mit seinen Vorgaben zur Behandlung der Stromerzeuger nur den klassischen Stromsektor (und dessen emissionshandelsbedingte „Windfall Profits“) belasten wollen. Das Verwaltungsgericht folgt damit der Rechtsauffassung der von der Luther Rechtsanwaltsgesellschaft vertretenen Klägerin des Ausgangsverfahrens.

Daß es überhaupt zu den jetzigen Fragen des Gerichts an die Richter in Luxemburg gekommen ist, beruht auf dem prozeßtaktischen Verhalten der DEHSt im Verfahren bei dem Verwaltungsgericht Berlin. Die DEHSt hatte dort zur Überraschung aller Prozeßbeteiligten wenige Stunden vor der mündlichen Verhandlung vorgetragen, die von der Klägerin begehrte zusätzliche kostenlose Zuteilung von Emissionszertifikaten scheide aus, weil in der betreffenden Anlage auch Strom erzeugt werde, von dem jedenfalls ein kleiner Teil in das öffentliche Netz eingespeist werde. Auf die dann vom Verwaltungsgericht in der Verhandlung gestellte Frage, warum denn dann die DEHSt in solchen Konstellationen trotzdem in der Praxis und unter Anwendung der dies auch vorsehenden Vorgaben des Beschlusses 2011/278/EU der Europäischen Kommission (einheitliche EU-Zuteilungsregeln) durchgehend Emissionszertifikate zugeteilt hat, blieben die Prozeßvertreter der DEHSt eine Antwort schuldig.

Mit einer Entscheidung aus Luxemburg wird nicht vor 2019 zu rechnen sein.

 

Dr. Stefan Altenschmidt, LL.M. (Nottingham)
Partner
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Düsseldorf
Telefon +49 211 5660 18737
stefan.altenschmidt@luther-lawfirm.com