16.09.2016

Der Fall „VW gegen Prevent“

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Hintergrund

16.09.2016

Der Fall „VW gegen Prevent“ - Grenzen des einstweiligen Rechtsschutzes zur Durchsetzung von Lieferverpflichtungen

Der Fall und die Problemstellung
Der Lieferstreit zwischen VW und zwei Tochterunternehmen der Zulieferergruppe Prevent (Prevent) beherrschte tagelang die Medien. Die Kündigung von Aufträgen durch VW gegenüber Prevent eskalierte mit der Folge, dass Prevent die Lieferung von Sitzbezügen und Getriebeteilen einstellte. Wegen einer geringen Bevorratung drohte die Produktion mehrerer VW-Automodelle still zu stehen. Statt eine langwierige erstinstanzliche Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten, ergriff VW zügig Gegenmaßnahmen. VW zog im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vor das Landgericht Braunschweig und erlangte einstweilige Verfügungen zur Durchsetzung der Lieferverpflichtungen. VW beantragte die Festsetzung eines Ordnungsgelds sowie ersatzweise Ordnungshaft gegen die Geschäftsführer der Prevent Tochterunternehmen.

Trotz dieser zivilprozessual komfortablen Ausgangssituation kam es nicht zu einer Vollstreckung des Ordnungsgelds. Stattdessen einigten sich VW und Prevent außergerichtlich über die Liefermodalitäten. Obgleich über den genauen Inhalt der Einigung Stillschweigen herrscht, musste nach Medienberichten auch VW Zugeständnisse machen. Dass VW nicht auf die Durchsetzung der einstweiligen Verfügungen vertraute bzw. vertrauen konnte, ist kaum verwunderlich. Denn in der Praxis besteht im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens nicht unerheblicher Spielraum, um die Durchsetzung von Lieferverpflichtungen hinauszuzögern und so dem Antragsteller (vorliegend VW) erhebliche Schäden zuzufügen.

Voraussetzungen der einstweiligen Verfügung auf Belieferung
Um eine einstweilige Verfügung zu erhalten, muss der Antragsteller einen Verfügungsanspruch und einen Verfügungsgrund glaubhaft machen. Ausreichend ist daher der Nachweis der hinreichenden Wahrscheinlichkeit des Vorgetragenen, was auch durch eidesstattliche Versicherungen erfolgen kann; ein „Vollbeweis“ wie im Hauptverfahren ist hingegen nicht erforderlich.

Der Verfügungsanspruch im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes setzt voraus, dass nach summarischer Prüfung des Gerichts ein materiell-rechtlicher Anspruch des Antragstellers besteht. Da im Falle VW ein Lieferanspruch gegeben war und sich wohl – anders als Prevent meinte – aus dem Belieferungsvertrag keine Zurückbehaltungsrechte ergaben, sah das Gericht den Verfügungsanspruch als gegeben an.

Schwieriger ist bei der Durchsetzung eines Lieferanspruchs im einstweiligen Verfügungsverfahren das Vorliegen eines Verfügungsgrunds nachzuweisen, d.h. der Nachweis der Dringlichkeit einer Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren. Da im einstweiligen Rechtsschutzverfahren die Hauptsache (grundsätzlich) nicht vorweggenommen werden darf, beschränkte die Rechtsprechung ursprünglich die Anordnung einer vorläufigen Belieferungsfortführung auf Lieferausfälle, bei welchen eine dringende Notlage oder eine Existenzgefährdung zu befürchten wäre. Aufgrund der immensen Schäden bei Lieferausfällen wurden die Anforderungen durch die Rechtsprechung an den Verfügungsgrund in den letzten Jahren reduziert; ausreichend ist nunmehr (lediglich) ein unverhältnismäßiger Vermögensnachteil des Antragstellers. Voraussetzung ist hierbei jedoch, dass eine rechtzeitige Ersatzbeschaffung bei einem Dritten nicht in Frage kommt. Da VW sich bei der Beschaffung der verschiedenen Produktionsteile auf einzelne Lieferanten beschränkt hatte und es sich (wohl) um Spezialanfertigungen im Auftrag des Herstellers handelte, war eine Drittbeschaffung in absehbarer Zeit wohl nicht möglich. Mithin ging das Gericht auch vom Vorliegen eines Verfügungsgrunds aus.

(Probleme der) Vollstreckung der Lieferverpflichtung
Die Vollstreckung von Lieferverpflichtungen eröffnet viele Möglichkeiten zur Verfahrensverzögerung. Diesen Umstand nutzte sicherlich auch Prevent im Rahmen der Verhandlungen mit VW als Druckmittel.

Die erste Hürde zur Vollstreckung bildet bereits die hinreichende Bestimmung der Lieferverpflichtung. Fehlt es hier an eindeutigen Bezeichnungen, so wird das Vollstreckungsorgan schon gar nicht tätig.

Des Weiteren richtet sich die Durchsetzung der Lieferverpflichtung nach dem konkreten Begehren des Antragstellers, d.h. was konkret vollstreckt werden soll. Bei vorrätigen Produktionsteilen erfolgt eine Vollstreckung auf Herausgabe gemäß §§ 884, 883 ZPO durch den Gerichtsvollzieher.

Gegen die Herausgabe der vorrätigen Sitzpolster und Getriebeteile steht dem Vollstreckungsschuldner zunächst die Vollstreckungserinnerung gemäß § 766 ZPO zu. Eine weitere Verzögerung lässt sich dadurch erwirken, dass dem Gerichtsvollzieher der Zutritt zur Produktionsstätte oder Lagerhalle verweigert wird. Sodann ist es an dem Vollstreckungsgläubiger, dem Gerichtsvollzieher durch eine richterliche Durchsuchungsanordnung gemäß § 758a ZPO die Vollstreckung zu ermöglichen.

Sind die Produktionsteile nicht vorrätig, so erfolgt eine Vollstreckung zur Erwirkung der Herstellung bzw. Belieferung gemäß §§ 887, 888 ZPO. Kernfrage ist hier, ob die Produktionsteile ausschließlich durch den Lieferanten (vorliegend Prevent) hergestellt werden können (sog. unvertretbare Handlung) oder – in gleichwertiger Weise – auch durch einen Dritten (sog. vertretbare Handlung). Während unvertretbare Handlungen durch die Festsetzung von Ordnungsgeld und ersatzweise Ordnungshaft (bei Körperschaften zu vollstrecken am Geschäftsführungsorgan) gemäß § 888 ZPO vollstreckt werden, werden vertretbare Handlungen durch eine sog. Ersatzvornahme gemäß § 887 ZPO vollstreckt. Die Ersatzvornahme bedeutet, dass die Produktionsteile bei einem Dritten auf Kosten des Vollstreckungsschuldners (vorliegend Prevent) erworben werden.

VW hatte vorliegend die Festsetzung von Ordnungsgeld und ersatzweise Ordnungshaft beantragt, so dass VW von einer unvertretbaren Handlung ausging. Vorliegend hätte allerdings von Prevent im Rahmen der Vollstreckung argumentiert werden können, dass ein Dritter die Produktion in gleichwertiger Weise übernehmen könnte (vertretbare Handlung). Dies gilt insbesondere für die Sitzbezüge. In diesem Fall wären nicht das Ordnungsgeld und die Ordnungshaft als Vollstreckungsmaßnahmen statthaft, sondern (allein) die Ersatzvornahme gemäß § 887 ZPO. Eine Überprüfung der Statthaftigkeit der Vollstreckungsmaßnahme erfolgt im Wege der sofortigen Beschwerde gemäß § 793 ZPO, die – ist sie erfolgreich – zur Aufhebung der jeweiligen Vollstreckungsmaßnahme führt.

Selbst wenn man von einer unvertretbaren Handlung ausginge, weil Prevent die Produktionsmaschinen zur Herstellung der Getriebe und Sitzbezüge hat individuell anfertigen lassen, so bieten sich noch ausreichend Möglichkeiten, die Vollstreckung zu verzögern.

So wäre Prevent als Vollstreckungsgegner im Falle der Festsetzung des Ordnungsgeldes zunächst anzuhören. Dies nimmt regelmäßig einige Tage in Anspruch und kann durch eine Fristverlängerung weiter hinausgezögert werden. Im Rahmen der Anhörung (aber auch im Rahmen einer Vollstreckungsgegenklage gemäß § 767 ZPO) kann der Vollstreckungsgegner einwenden, dass ihm die Produktion unmöglich geworden ist, z.B. weil die erforderlichen Mitarbeiter entlassen oder die Produktionsmaschinen verkauft wurden. Selbst wenn der Vollstreckungsschuldner die Unmöglichkeit vorsätzlich herbeigeführt haben sollte, muss die Festsetzung eines Ordnungsgelds oder einer Ordnungshaft unterbleiben.

Wird das Ordnungsgeld schließlich durch Beschluss festgesetzt, wird zur spätesten Erfüllung der Lieferverpflichtung regelmäßig eine Frist gesetzt. Erst wenn diese Frist abläuft, wird das Ordnungsgeld „fällig“. Auch die Vollstreckung des Ordnungsgeldes bedarf wiederum eines Vollstreckungsverfahrens, nämlich der Pfändung.
Da das Zwangsmittel lediglich den Willen des Antragsgegners beugen soll (das Ordnungsgeld ist keine Geldstrafe), ist es möglich, die Frist bis zum letzten Tag auszureizen, ohne das Ordnungsgeld zahlen zu müssen.

Auch kann es sich taktisch durchaus lohnen, der Lieferverpflichtung nicht nachzukommen und das Ordnungsgeld (ein oder mehrmals) schlicht zu bezahlen. Das festgesetzte Ordnungsgeld darf für Lieferverpflichtungen € 25.000 ohnehin nicht überschreiten (§ 888 Abs. 1, S. 2 ZPO), jedoch setzen die Gerichte das erste Ordnungsgeld regelmäßig deutlich unterhalb der gesetzlichen Höchstgrenze an (oftmals bei € 5.000).

Mit diesen Taktiken kann ein Vollstreckungsschuldner regelmäßig trotz Vorliegens einer einstweiligen Verfügung die Vollstreckung tage- oder wochenlang verzögern. In dieser Zeit stehen bei dem Antragsteller die „Bänder still“ und es können sich enorme, eventuell gar existenzgefährdende Verluste anhäufen. Das „Erpressungspotential“ ist vor diesem Hintergrund erheblich.

Der Lieferstreit zwischen VW und Prevent zeigt daher, dass rechtliche Mittel zur Produktionssicherung nur selten ausreichen, selbst wenn es dem Belieferten gelingen sollte, eine einstweilige Verfügung für eine Weiterbelieferung zu erlangen. Die Lösung liegt vielmehr im Faktischen: Eine Single Source-Strategie, also die Belieferung durch nur einen Lieferanten, sollte möglichst vermieden werden. Wenn mehrere (zumindest zwei) Lieferanten die Belieferung vornehmen, steht bei Streitigkeiten mit einem Lieferanten immer noch ein weiterer Lieferant „als Reserve“ zur Verfügung.

 

Dr. Florian Schulz M.B.A. (Nimbas)
Partner
florian.schulz@luther-lawfirm.com
Telefon +49 40 18067 18023


 

   
  Inga Hogrefe
Wissenschaftliche Mitarbeiterin
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