17.04.2020

Corona-bedingte Störungen in Bauprojekten

Hintergrund

Baurecht: Dieser Blogbeitrag beschäftigt sich mit den Corona-bedingten Störungen auf Baustellen und beleuchtet sowohl die Auftragnehmer- als auch die Auftraggeberperspektive.

1. Unterscheidung laufende und zukünftige Projekte

Aktuelle und zukünftige Projekte dürften durchaus unterschiedlich zu bewerten sein. Was heute noch z.B. einen Wegfall der Geschäftsgrundlage begründen kann, ist bei zukünftigen Projekten anders zu bewerten.

Kann ich in Zukunft in meiner Kalkulation als Auftragnehmer noch Nachunternehmer aus dem europäischen Ausland berücksichtigen? Muss ich als Auftraggeber das Risiko im Zusammenhang mit Corona übernehmen, um noch Angebote zu erhalten? Wie sollte eine Risikoabgrenzung erfolgen?

2. Laufende Angebotsverfahren

Für laufende Angebotsverfahren kann aus Auftragnehmersicht nur gelten: Stellen Sie Bieterfragen und klären Sie die Risikoverteilung vor Angebotsabgabe und Zuschlag. Auch aus Auftraggebersicht ist das Gebot der Stunde die Suche nach einer partnerschaftlichen Lösung. Ob sich für ein Projekt eine „Sprechklausel“ anbietet, weil man die Auswirkungen noch überhaupt nicht absehen kann oder die Risiken so gut zu greifen sind, dass die Risiken konkret verteilt werden können, ist eine Frage der Einzelfallbetrachtung.

Sollten Angebotsfristen verlängert werden? Ist die aktuelle Lage ein Aufhebungsgrund für öffentliche Auftraggeber in laufenden Vergabeverfahren?

3. Auswirkungen auf Baustellen – alles eine Frage der Darlegung

§ 6 VOB/B (Behinderungen), § 313 BGB (Wegfall der Geschäftsgrundlagen), Schadenersatznormen des BGB bzw. der VOB/B – alle für die maßgeblichen Fragen relevanten Regelungen sowie die dazu vorliegende Rechtsprechung nehmen eine Bewertung und Zuordnung von Risiken vor. Das bedeutet, dass besonders in diesem Bereich gilt: „Es kommt darauf an!“ Ansprüche werden dann erfolgreich aus Auftragnehmersicht geltend gemacht werden können, wenn der Sachverhalt konkret beschrieben wird und deutlich gemacht werden kann, dass die konkrete Baustelle von nicht mehr üblichen Beeinträchtigungen betroffen sind.

Aus Auftraggebersicht gilt: Pauschale Behinderungsanzeigen sollten nicht akzeptiert werden.

4. Personal von Nachunternehmern aus dem europäischen Ausland kommt nicht mehr über die Grenze

Der Auftragnehmer hat einen Anspruch auf Bauzeitverlängerung, wenn eigene Mitarbeiter oder Personal des für ihn arbeitenden Nachunternehmers aus dem europäischen Ausland stammt und auf Grund von Maßnahmen einer Einreisebeschränkung gehindert ist, die Arbeiten auf der Baustelle planmäßig fortzuführen. Allerdings ist es hierzu erforderlich, dass die Einreisebeschränkung tatsächlich negative zeitliche Folgen für das Bauvorhaben verursacht. Das ist im Einzelfall darzulegen. Dabei geht es auch um Fragen nach der Anzahl und der Funktion des Einzelnen.

Einreisebeschränkungen sind nicht gleichzusetzen mit Einreisesperren.

Einen Anspruch auf Vergütungsanpassung hat der Auftragnehmer auf Grund der Bauzeitverlängerung jedoch wohl nicht. Das Gesetz sieht eine Anpassung nur dann vor, wenn die Behinderung in der Sphäre des Auftraggebers verortet ist. Eine Einreisesperre als behindernder Umstand ist jedoch dem Risikobereich keiner Partei zuzurechnen. Auch eine Störung der Geschäftsgrundlage dürfte regelmäßig ausscheiden, weil die Gleichwertigkeit von Leistung und Gegenleistung nicht aufgehoben ist.

5. Corona-bedingte Ausfälle als Behinderung nach § 6 VOB/B und Grundlage von Mehrvergütungs- bzw. Schadenersatzansprüchen?

Nicht jeder Corona-bedingter Ausfall von Mitarbeitern ist eine Behinderung im Sinne des § 6 VOB/B; er kann es aber sein – auf die Begründung im Einzelfall kommt es an. Man wird auch fragen müssen, ob Auswirkungen über normale, zu kalkulierende krankheitsbedingte Ausfälle hinausgehen und ob der Auftragnehmer seiner Pflicht zur Sicherstellung einer gewissen personellen Redundanz nachgekommen ist.

Die Auswirkungen behördlicher Maßnahmen wie etwa Quarantänen werden eher als Behinderung einzustufen sein, aber auch hier kommt es maßgeblich auf die Auswirkungen auf die konkrete Baustelle an. Zudem wird sich der Auftragnehmer fragen lassen müssen, ob er seinen Sorgfaltspflichten zum Schutz seiner Mitarbeiter nachgekommen ist.

6. Erneuerung von Behinderungsanzeigen?

Eine (erneute) Behinderungsanzeige ist dann erforderlich, wenn sich eine weitere Störung des geplanten Bauablaufs bzw. einer Verschärfung der bereits angezeigten Umstände ergibt. Insbesondere bei der Anzeigebedürftigkeit im Hinblick auf die Fortentwicklung von bereits zur Anzeige gebrachten behindernden Umständen ist jedoch Vorsicht geboten. Im Zweifel sollte gelten: in dubio pro (erneute) Behinderungsanzeige.

7. Unterbrechung der (Material-) Lieferkette

Ist die Lieferkette wegen des Corona-Virus gefährdet bzw. bereits unterbrochen, richtet sich die Rechtslage zunächst nach der vertraglichen Risikoverteilung. Fehlt es an einer vertraglichen Zuweisung des Risikos, ist auf die VOB/B bzw. das BGB zurückzugreifen.

Für die Annahme der höheren Gewalt im Sinne der VOB/B ergeben sich regelmäßig hohe Hürden. Im Kern der Beurteilung steht die Frage, ob das (Bau-) Material, dessen Lieferant wegzubrechen droht, anderweitig am Markt zu beschaffen und dies dem Auftragnehmer zumutbar ist. Dabei kommt es auf die Beurteilung des Einzelfalls an. Der Auftragnehmer wird sich jedoch darauf einstellen müssen, dass Mehrkosten zumutbar sind.

8. Kündigungsgrund

Derzeit stellen die Umstände noch keinen Kündigungsgrund dar. In Abhängigkeit von der weiteren Entwicklung kann sich dies aber ändern. Ansatzpunkt könnte dann der § 6 Abs. 7 VOB/B sein, der ein Kündigungsrecht vorsieht, wenn eine Störung länger als drei Monate anhält.

9. Unterschied zwischen VOB/B und BGB im Zusammenhang mit dem Corona-Virus

Ist die VOB/B wirksam zwischen den Vertragsparteien vereinbart und kann sich der Aufragnehmer auf „Höhere Gewalt“ berufen, besteht grundsätzlich ein Anspruch auf Verlängerung der Ausführungsfristen (§ 6 Abs. 2 Nr. 1 Lit c) VOB/B) bzw. ein Kündigungsrecht beider Parteien im Falle einer Unterbrechung von mehr als drei Monaten (§ 6 Abs. 7 VOB/B).

Anders stellt sich die Rechtslage dar, wenn die VOB/B nicht (wirksam) vereinbart ist. Eine ausdrückliche Regelung zur Verlängerung der Ausführungsfristen fehlt dem BGB. Allerdings könnte sich ein solcher Anspruch des Auftragnehmers auf Verlängerung der Ausführungsfristen wegen der Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB ergeben. Ob die Voraussetzungen des § 313 BGB erfüllt sind, ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu prüfen.

Auch bei den Kündigungsmöglichkeiten ergeben sich Unterschiede zwischen der VOB/B und dem BGB. Nach der VOB/B liegt ein beidseitiger Kündigungsgrund vor, wenn eine Unterbrechung länger als drei Monate anhält. Nach dem BGB steht dem Auftraggeber als Besteller hingegen stets ein Kündigungsrecht nach § 648 S. 1 BGB zu, wobei dies mit teils belastenden Folgen verbunden sein kann. Ferner kann dem Auftraggeber wegen der Corona-bedingten Auswirkungen ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund nach § 648a BGB zustehen. Ob diese für den Auftraggeber günstigere Möglichkeit der Kündigung einschlägig ist, muss anhand der Umstände des Einzelfalls geprüft werden.

10. Hygienemaßnahmen auf der Baustelle

In vielen Bundesländern werden Regelungen über Hygienemaßnahmen auf der Baustelle erlassen. Diese können einerseits für den Auftraggeber sicherstellen, dass die Baumaßnahmen fortgeführt werden können. Für den Auftragnehmer ist die Einhaltung wichtig für die eigene Haftung. Zugleich können sich erneut Fragen zu Störungen des Bauablaufs stellen.

11. Erdbauarbeiten und Kampfmittelbeseitigung

Es liegt auf der Hand, dass z.B. Evakuierungen aufgrund der Beseitigung von Fundmunition derzeit nur bedingt oder gar nicht möglich sind. Daher sind derzeit besonders Tiefbauarbeiten und Sondierungen von Corona-bedingten Störungen betroffen. Auch hierfür zeigen sich die ersten Lösungsansätze.

Autor/in
Stephan Finck

Stephan Finck
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