04.05.2022

BSG-Urteil: Krankenhäuser dürfen wesentliche Leistungen ihres Versorgungsauftrags nicht auf Dritte auslagern

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 26. April 2022 für den Bereich der stationären GKV-Versorgung eine richtungsweisende Entscheidung zum Outsourcing von Leistungen des krankenhauseigenen Versorgungsauftrags getroffen. Krankenhäuser haben für die im Versorgungsauftrag ausgewiesenen Bereiche die räumliche, apparative und personelle Ausstattung zur Erbringung der wesentlichen Leistungen selbst vorzuhalten. Krankenhäuser dürfen solche Leistungen nicht regelmäßig und planvoll auf Dritte auslagern. Das entsprechende Urteil (Az.: B 1 KR 15/21 R) wurde noch nicht veröffentlicht.

Hintergrund

Im konkreten Fall war das klagende Krankenhaus mit einer Fachabteilung für Strahlentherapie im Krankenhausplan ausgewiesen, konnte aber nach der Schließung der Abteilung für Strahlentherapie selbst keine strahlentherapeutischen Leistungen mehr erbringen und hatte diese Leistungen für stationäre Patienten an eine niedergelassene Praxis mittels Kooperationsvertrags ausgelagert.

Kernaussagen der Entscheidung
  • Die krankenhausvergütungsrechtlichen Bestimmungen, die es unter bestimmten Voraussetzungen ermöglichen, Dritte an der stationären Leistungserbringung zu beteiligen, jedoch die Abrechnung über das Krankenhaus durchzuführen, erlauben es nicht, dass das Krankenhaus wesentliche der vom Versorgungsauftrag umfassten Leistungen regelmäßig und planvoll auf Dritte auslagert, die nicht in seine Organisation eingegliedert sind.
  • Das Krankenhaus hat für die im Versorgungsauftrag ausgewiesenen Bereiche (Fachabteilungen, Zentren, Fachprogramme etc.) die räumliche, apparative und personelle Ausstattung zur Erbringung der wesentlichen Leistungen selbst vorzuhalten.
  • Wesentlich sind dabei alle die Leistungen, die in der ausgewiesenen Fachabteilung regelmäßig notwendig sind – mit Ausnahme unterstützender und ergänzender Leistungen, wie etwa Laboruntersuchungen oder radiologischer Untersuchungen.
Risiken

Das aus dem Urteil des Bundessozialgerichts potentiell resultierende wirtschaftliche Risiko für die Krankenhäuser kann in der Summe erheblich werden: Die stationäre Vergütung für Leistungen, die nach Ansicht des Bundessozialgerichts an Dritte ausgelagert wurden, also weder vom Krankenhaus selbst vorgenommen wurden noch veranlasste Leistungen Dritter gemäß § 2 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 Krankenhausentgeltgesetz darstellen, können die Kostenträger (zumindest) in Bezug auf den ausgelagerten Leistungskomplex streitig stellen.

Vorbehaltlich der noch abzuwartenden Begründung steht zu befürchten, dass

  • das Urteil sämtliche Kooperationen zwischen Krankenhäusern, aber auch zwischen Krankenhäusern und niedergelassenen Leistungserbringern (Arztpraxen, MVZ) betreffen kann,
  • dies unabhängig davon gelten kann, ob es sich bei dem Kooperationspartner um fremde Dritte oder Tochtergesellschaften des Krankenhauses handelt,
  • die räumliche, apparative und personelle Ausstattung vollumfänglich betroffen ist, also auch gängige Personal-Outsourcing Maßnahmen erfasst sein können,
  • auch bereits ausgelagerte Leistungen und insbesondere auch in der Vergangenheit durchaus übliche Kooperationsverträge zwischen Leistungserbringern betroffen sein können.

Der Terminsbericht des BSG legt nahe, dass Laboruntersuchungen oder radiologische Untersuchungen von dieser Rechtsprechung nicht betroffen sein könnten; gleiches dürfte dann für sog. Tertiär-Leistungen (Speisenversorgung, Hol- und Bringdienste, Reinigungsdienstleistungen, Schreibdienst u. ä.) gelten.

Handlungsempfehlung

Diese Entscheidungen gibt Anlass, einschlägige Kooperationsverhältnisse zu überprüfen. Schwierigkeiten wird jedoch die rechtssichere Abgrenzung der angedeuteten Ausnahme „unterstützende und ergänzende Leistungen“ bereiten. Völlig ungeklärt ist dabei u. a., wie die Entscheidung bspw. in Einklang zu bringen sein wird mit den Vorgaben diverser OPS-Kodes, die es ermöglichen, durch Kooperationen weite Teile der Leistungserbringung durch Dritte zu sichern.

Für Rückfragen stehen Ihnen aus der Industriegruppe Health Care & Life Sciences Dr. Hendrik Sehy und Frances Wolf zur Verfügung.

Autor/in
Dr. Hendrik Bernd Sehy

Dr. Hendrik Bernd Sehy
Counsel
Hannover
hendrik.sehy@luther-lawfirm.com
+49 511 5458 10772

Frances Wolf

Frances Wolf
Senior Associate
Hannover
frances.wolf@luther-lawfirm.com
+49 511 5458 14854