14.09.2020

Corona-Pandemie – unerwünschte steuerliche Nebenwirkungen

Hintergrund

In Deutschland arbeiten derzeit rd. 814.000 Menschen in der Automobil-Branche, das sind rd. drei Prozent weniger als im selben Monat des Vorjahres. VDA-Präsidentin Hildegard Müller erklärte dazu: "Von den 814.000 Mitarbeitern ist derzeit jeder zweite in Kurzarbeit." (Quelle: www.autozeitung.de, 29.7.2020)

Dessen ungeachtet ist der Bedarf an Unternehmensübertragungen im Rahmen der Unternehmensnachfolge bei Familienunternehmen in der Branche unvermindert hoch. Nach Schätzungen des Instituts für Mittelstandsforschung (IfM) beläuft sich die Zahl der anstehenden Nachfolgen bei mittelständischen Unternehmen in dem Zeitraum 2018 bis 2022 branchenübergreifend auf jährlich rd. 150.000 (Quelle: Institut für Mittelstandsforschung, Unternehmensnachfolgen in Deutschland 2018 bis 2022, Daten und Fakten Nr. 18, Bonn, Februar 2018).

Dass beide Effekte einander in einer für die Unternehmer negativen Weise beeinflussen können, wird dabei häufig übersehen.

Der Rahmen

Die unentgeltliche Übertragung eines Unternehmens ist grds. ein erbschaftsteuerpflichtiger Vorgang, der aber starken Begünstigungen unterliegt. Wesentliche Teile des Betriebsvermögens werden nämlich ganz oder fast ganz (zu 85 %) von der Besteuerung freigestellt. Gleiches gilt im Falle der Übertragung von Anteilen an Personen- und Kapitalgesellschaften (letztere allerdings nur, wenn der Übertrager mehr als 25 % der Anteile an der Gesellschaft hält). Nicht begünstigungsfähig ist das sog. Verwaltungsvermögen, etwa vermietete Immobilien, „Cash“, Forderungen oder Wirtschaftsgüter mit privatem Charakter wie Oldtimer, Yachten oder Privatflugzeuge.

Wichtige Einschränkung: Will der Unternehmensnachfolger die erlangten Steuervorteile endgültig behalten, so ist er für fünf, bei völliger Steuerfreistellung sogar für sieben Jahre, verpflichtet, zwei weitere Bedingungen zu erfüllen:

  • Zum einen ist die Steuerbegünstigung daran geknüpft, dass während der Frist von fünf bzw. sieben Jahren die Lohnaufwendungen des erworbenen Unternehmens im Durchschnitt in etwa auf dem Niveau der letzten fünf Jahre vor dem Übergang bleiben.
  • Zum anderen ist der Erwerber verpflichtet, das erworbene Unternehmen während dieser Frist zu behalten, es also insbesondere nicht an einen fremden Dritten zu verkaufen. Gleiches gilt aber auch für eine Einstellung des Betriebes oder – beachte! – die Insolvenz des übertragenen Unternehmens.

Wird eine der Bedingungen nicht erfüllt, entfällt die Begünstigung rückwirkend und zeitanteilig, d.h. der bisher steuerfrei gestellte Teil des begünstigungsfähigen Vermögenswert wird nachträglich unter Einschluss einer Verzinsung von 6 % p.a. nachversteuert.

Beide Voraussetzungen werden durch die Förder- und Stützungsmaßnahmen zur Milderung der corona-bedingten Folgen für deutsche mittelständische Unternehmen nicht tangiert. Sinkt etwa die Lohnsumme des übertragenen Unternehmens infolge erforderlich gewordener Kurzarbeit unter die maßgeblichen Referenzwerte, wird die bisher vermiedene Erbschaftsteuer nachträglich fällig.

Schlimmer noch: ist der übergebene Betrieb aufgrund der durch die Pandemie verursachte Krise nicht mehr zu halten und fällt in die Insolvenz, kumuliert sich bei dem betroffenen Unternehmer der wirtschaftliche Verlust u.U. mit einem zusätzlich eintretenden Steuerschaden!

Beispielsrechnung

Unternehmer U hat sein Unternehmen im Jahr 2016 (Stichtag: 1.1.2017, 0.00 Uhr) auf seinen Nachfolger N übertragen. N hat für Erbschaftsteuer-Zwecke einen Verschonungsabschlag von 85 % in Anspruch genommen. Nach einer Boomzeit Ende der 2010er Jahre führten corona-bedingte Kurzarbeit und Stellenabbau zu einer spürbaren Reduzierung der Lohnkosten.

 

Für die nachfolgende Berechnung der sich daraus ergebenden erbschaftsteuerlichen Folgen sollen folgende Annahmen zugrunde gelegt werden:

 

  • Erbschaftsteuerlicher Unternehmenswert:                                                 10,0 Mio. €
  • Steuersatz Erbschaftsteuer (Erwerb zwischen 0,6 und 6,0 Mio. €):                    19 %
  • Verschonungsabschlag (85 % des Unternehmenswertes):                     ./. 8,5 Mio. €
  • Ausgangslohnsumme (Durchschnitt der Jahre 2012 – 2016):                   12,0 Mio. €
  • Mindestlohnsumme (400 % der Ausgangslohnsumme):                           48,0 Mio. €
  • Tatsächliche Lohnsumme der Jahre 2017 – 2021:                                    36,0 Mio. €

 

Aufgrund der Verminderung der Lohnkosten nach der Übertragung reduziert sich der in Anspruch genommene Verschonungsabschlag pro rata. Dieser Minderungsbetrag errechnet sich wie folgt:

       Unterschreitung der Lohnsumme (48,0 Mio. ./. 36, 0 Mio. =)     12,0 x 100
       _________________________________________________     ________

               Mindestlohnsumme €                                                                 48,0

 

Die Minderung des Verschonungsabschlages beläuft sich mithin auf:

                                                      8,5 Mio. € x 25 % = 2,125 Mio. €.

 

Der von N endgültig in Anspruch zu nehmende Verschonungsabschlag beträgt entsprechend:

                                               8,5 Mio. € ./. 2,125 Mio. € = 6,525 Mio. €.

 

N muss mithin mit einer „corona-bedingten“ Erbschaftsteuer-Nachzahlung von 403.750 € rechnen. Würde N im Jahr 2020 für das erworbene Unternehmen Insolvenz anmelden müssen, würden sogar 40 % des beanspruchten Verschonungsabschlag (= 3,4 Mio. €) nachträglich wegfallen, da von der fünfjährigen Behaltensfrist erst 3 volle Jahre, mithin 60 %, abgelaufen sind. Die Steuer-Nachforderung würde auf 646.000 € steigen!

Gestaltungsmöglichkeiten

Bei entsprechender Gestaltung der Übergabeverträge können die dargestellten unerwünschten corona-bedingten Nebenwirkungen vermieden werden, indem die Übertragung des Unternehmens mit steuerlicher Rückwirkung rückgängig gemacht wird. Wie die seinerzeitige Schenkung wird auch die Rückübertragung eines notariell zu beurkundenden Vertrages bedürfen, einschließlich der damit verbundenen Kosten. Die infolge der Unternehmensübertragung gezahlte Erbschaftsteuer wird erstattet, die Mehrsteuer wegen Nichteinhaltung der Lohnsummen- oder Behaltensfrist fällt nicht an. Zu einem späteren Zeitpunkt, etwa wenn sich die wirtschaftliche Situation des Unternehmens stabilisiert hat, kann die Übertragung auf den Nachfolger wiederholt werden.

Voraussetzung dafür, dass diese Maßnahmen ergriffen werden können, ist allerdings, dass diese Möglichkeiten in dem ursprünglichen Übergabevertrag bereits angelegt waren. Hier lohnt sich, einen auf Erbschaftsteuer-Fragen spezialisierten steuerlichen Berater einmal einen Blick darauf werfen zu lassen.

Zusammenfassung

Familienunternehmen, die aufgrund der Corona-Krise in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten sind, kann aus unerwarteter Ecke steuerliches Ungemach drohen. Ist ein solches Unternehmen in den vergangenen 5 – 7 Jahren Gegenstand einer Unternehmensnachfolge geworden, droht eine Nachzahlung von Erbschaftsteuer, die schnell eine 6- oder sogar 7-stellige Größenordnung erreichen kann. Ob diese unerwünschten steuerlichen Nebenwirkungen der Corona-Pandemie noch abgewendet werden können, sollte ein Erbschaftsteuer-Spezialist prüfen.

Autor/in

Prof. Dr. Eberhard Kalbfleisch