05.01.2023

Wettbewerbsrechtliche Grenzen des Betriebs kommunaler Internetportale

BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 – I ZR 97/21

I. Hintergrund

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat seine Rechtsprechung zum Umfang kommunaler Öffentlichkeitsarbeit im Hinblick auf Online-Medien fortgeschrieben.

Gemeindliche Publikationen, in denen sowohl kommunale als auch redaktionelle Inhalte veröffentlicht werden, können wettbewerbsrechtlich zulässig sein. In der Vergangenheit hat der BGH bereits den Umfang und die Grenzen kommunaler Öffentlichkeitsarbeit mit Bezug zu Printmedien (Amtsblätter) entschieden (BGH, Urteil vom 20. Dezember 2018 – Az.: I ZR 112/17, Crailsheimer Stadtblatt II). Höchstrichterlich bislang ungeklärt und obergerichtlich uneinheitlich geblieben ist die Rechtslage zu kommunal betriebenen Telemedien, wie zu Online-Portalen. Mit seiner Entscheidung vom 14. Juli 2022 hat der BGH nun die Kriterien für den Betrieb gemeindlicher Online-Angebote klargestellt (BGH, Urteil vom 14. Juli 2022 – Az.: I ZR 97/21).

Aus den nunmehr veröffentlichten Entscheidungsgründen ergibt sich Folgendes.

II. Streitstand

Die kommunale Öffentlichkeitsarbeit steht im Spannungsverhältnis zwischen den kommunalen Äußerungs- und Informationsrechten – als Ausfluss der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG (i.V.m. den jeweiligen landesrechtlichen Regelungen) – einerseits und dem verfassungsrechtlichen Gebot der Staatsferne der Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG andererseits.

Der Betrieb von und die Bereitstellung – auch – redaktioneller Inhalte in kommunalen Medienpublikationen (online und offline) kann dem verfassungsrechtlich geschützten Gebot der Staatsferne der Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG widersprechen und als Marktverhaltensregel i.S.d. § 3a UWG wettbewerbsrechtlich unzulässig sein.

Während das OLG München (Urteil vom 30. September 2021 – Az.: 6 U 6754/20) im Zusammenhang mit dem über „muenchen.de“ bereitgestellten Stadtbranchenbuch von einem Verstoß gegen das Gebot der Staatsferne der Presse ausging, urteilte das OLG Hamm (Urteil vom 10. Juni 2021 – Az.: 4 U 1/20) gegen eine grundsätzliche Unzulässigkeit des Betriebs des Online-Angebots der Stadt Dortmund „dortmund.de“.

Im Zusammenhang mit dem Verfahren zu „dortmund.de“ hat der BGH nun die Entscheidung des OLG Hamm im Ergebnis bestätigt und klargestellt:

  •  „dortmund.de“ verstößt nicht gegen das Gebot der Staatsferne der Presse und ist wettbewerbsrechtlich nicht unzulässig. Bei der Zulässigkeit eines kommunalen Online-Angebots sei insgesamt eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen.
  • Die unter den Schutz des Gebotes der Staatsferne der Presse gestellten privaten Presseanbieter müssen die Veröffentlichung redaktioneller Inhalte durch Betreiber kommunaler Online-Angebote dulden, auch wenn im Einzelfall auf dem Online-Angebot veröffentlichte Beiträge dem Gebot der Staatsferne der Presse widersprechen. Kommunale Online-Angebote können als solches durch eine wertende Gesamtschau trotz der im Einzelfall veröffentlichten unzulässigen Inhalte insgesamt noch als zulässig gelten.
  • Selbst wenn auf Basis der wertenden Gesamtbetrachtung keine Gesamtunzulässigkeit eines Online-Angebots vorliegt, so werden dadurch einzelne auf dem Online-Angebot veröffentlichte unzulässige Beiträge nicht gleichzeitig zulässig. Dennoch: Ein Verbot einzelner Beiträge in einer kommunalen Publikation lässt sich danach dennoch nicht erreichen (siehe im Folgenden).
III. Entscheidung

Klägerin im Verfahren vor dem BGH war ein Dortmunder Medienhaus, das die Unterlassung des Betriebes des Online-Portals „dortmund.de“ der Stadt Dortmund erreichen wollte. Auf „dortmund.de" wurden neben Beiträgen mit ausschließlich gemeindlichem Bezug auch redaktionelle Inhalte bereitgestellt. Darunter waren unter anderem Berichterstattungen über die Meisterschaft des Dortmunder Fußballvereins BVB 09 oder Interviews bzw. Artikel über die in der Stadt stattfindenden Veranstaltungen.

Zur Finanzierung von „dortmund.de“ war auf dem Portal zudem Online-Werbung verschiedener Anbieter abrufbar. Während die Betreiberin von „dortmund.de“ erstinstanzlich in der mündlichen Verhandlung bereits Unterlassungserklärungen hinsichtlich der Schaltung von entgeltlicher und unentgeltlicher kommerzieller Werbung sowie der Berichterstattung über die BVB-Meisterfeier abgab, blieben die weiteren Beanstandungen der Klägerin in Streit.

Der BGH stellte fest:

  • Im Zusammenhang mit der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit ist es Gemeinden zwar gestattet, Bürgerinnen und Bürger mit Informationen zu versorgen, die insbesondere zur Mitwirkung an der demokratischen Willensbildung notwendig sind. Allerdings ist Kommunen nicht jegliche pressemäßige Äußerung erlaubt, die nur ein irgendwie geartetes Verhältnis zur örtlichen Gemeinschaft hat. D.h., es gilt nicht jede Information mit lokalem Orts- und Aufgabenbezug als eine Angelegenheit der örtlichen Gemeinschaft, aufgrund dessen die Gemeinde ihre kommunale Äußerungs- und Informationsrechte wahrnehmen könnte.
  • Im Rahmen ihrer Öffentlichkeitsarbeit muss der öffentliche Sektor bei deren Art, Frequenz und Umfang zurückhaltendend sein. Staatlichen Publikationen komme eine erhöhte Glaubwürdigkeit und damit ein besonderes Beeinflussungspotenzial zu. Daher berge eine uferlose staatliche Öffentlichkeitsarbeit Gefahren für die Neutralität der staatlichen Kommunikation.
  • Die institutionelle Garantie des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG stellt die „äußere Grenze“ für Berichterstattungen in staatlichen Offline- und Online-Medien dar. Das für den Staat bestehende, aus der objektiv-rechtlichen Komponente der Pressefreiheit abgeleitete Gebot, sich nur im engen Rahmen auf dem Gebiet der Presse zu betätigen regelt auch, wie sich Hoheitsträger und von denen beherrschte Unternehmen wettbewerbsrechtlich auf dem Gebiet der Presse zu verhalten haben.

Es ist eine wertende Gesamtbetrachtung der gemeindlichen Publikation insgesamt vorzunehmen. Dabei ist zu berücksichtigen:

  • Die äußere Gestaltung des kommunalen Online-Angebots.
  • Der potenzielle Leseverlust bei der privaten Presse durch das Online-Angebot und dem damit eventuell ermöglichen Eintritt einer „dem Institut der freien Presse zuwiderlaufende[n] Meinungsbildung durch den Staat von oben nach unten […]“: Im Unterschied zum Markt der klassischen lokalen (Print-)Presse muss dieser Effekt bei Online-Angeboten – wegen der Informationsfülle – im Einzelfall festgestellt werden. Die kommunale Publikation darf den Lesern nicht einen Umfang von Informationen bereitstellen, der den Bezug eines privaten Presseerzeugnisses zumindest subjektiv entbehrlich macht. Je mehr eine kommunale Publikation quantitativ und qualitativ Themen klassischer Pressemedien bedient, umso wahrscheinlicher wäre jedoch ein etwaiger Leseverlust bei und Substitutionseffekt zulasten der privaten Presse.
  • Bei der wertenden Betrachtung kommt es dagegen weder im Rahmen des § 3a UWG, noch auf der Ebene des Gebotes der Staatsferne der Presse (aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) auf eine konkrete Gefährdung der Presse an.
  • "Einzelne, die Grenzen zulässiger staatlicher Öffentlichkeitsarbeit überschreitende Artikel allein begründen keine Verletzung des Gebotes der Staatsferne der Presse.“
  • Die in gemeindlichen Medien bereitgestellten Veröffentlichungen müssen im Zusammenhang zum gesamten Medienangebot gestellt werden. “Eine von der Gesamtausgabe losgelöste Würdigung nur der […] Beiträge – alternativ oder kumulativ – ist nicht möglich, weil es auf die Publikation insgesamt ankommt, nicht auf einzelne ihrer Bestandteile. […]“.
  • Zudem gilt: „Ein Verbot einzelner Beiträge in einer kommunalen Publikation lässt sich […] nicht erreichen. Einzelne Artikel können schon keinen Substitutionseffekt […] haben. Es kommt vielmehr entscheidend darauf an, ob die Berichterstattung insgesamt einen pressesubstituierenden Gesamtcharakter hat. Für die dafür erforderliche Gesamtbetrachtung müssen die Beiträge jeweils in den Kontext der gesamten Publikation gestellt werden.“

Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung des kommunalen Online-Angebots hielt der BGH zudem die folgenden Kriterien für maßgebend:

  • Das kommunale Online-Angebot muss als gemeindliche Publikation erkennbar sein, selbst wenn dieses zu einem geringen Teil auch über nicht kommunale Themen berichtet.
  • Bei der wertenden Betrachtung unter Beachtung des Gesamtcharakters des Online-Angebotes
    • ist neben den inhaltlichen Merkmalen insbesondere auch die Art der Präsentation gegenüber den angesprochenen Gemeindemitgliedern zu beachten.
      muss das Äußere und die optische Gestaltung des Online-Angebotes (oder auch nur einzelner Rubriken) auf ihre Presseähnlichkeit geprüft werden. Eine Presseähnlichkeit kann sich auch aus der Verwendung „redaktionelle[r] Elemente der meinungsbildenden Presse, wie Glossen, Kommentare oder Interviews, und [der] Frequenz des Vertriebs“ ergeben.Die pressemäßige Aufmachung allein verletzt nicht automatisch das Gebot der Staatsferne der Presse.Dies gilt insbesondere für internettypische (und nicht pressetypische) Gestaltungselemente auf einem Online-Angebot, wie beispielsweise zahlreiche Verlinkungen oder Überschriften, Unterüberschriften und Bilder. Von einer Unzulässigkeit wird man aber ausgehen können, wenn die Publikation nicht mehr als die eines öffentlichen Trägers erkannt werden kann.
    • muss der Zeitraum betrachtet werden, in dem Beiträge aktualisiert werden und der Umfang des daraus folgenden Rückschlusses der angesprochenen Verkehrskreise, sie seien über das kommunale Online-Angebot jeweils aktuell über das gemeindliche Geschehen informiert.
    • müssen für eine Unzulässigkeit des Online-Angebotes unter dem Gebot der Staatsferne der Presse unzulässige Beiträge das gesamte Online-Angebot bestimmen und besonders ins Gewicht fallen (z.B. unzulässige Beiträge als meistgelesen gelten oder Links auf solche Beiträge verweisen). Das quantitative Verhältnis zwischen zulässigen und unzulässigen Inhalten ist bei Online-Angeboten allerdings in der Regel weniger aufschlussreich als bei Printmedien. Online-Angebote haben wegen ihren technischen Voraussetzungen nämlich keine den Printmedien typischen Kapazitätsbegrenzungen.
  • Eine Anzeigenschaltung auf dem gemeindlichen Online-Angebot bleibt allerdings generell nicht verboten. Es kann als fiskalisch motivierter Randnutzen zulässig sein.Bei kostenlosen Angeboten besteht jedoch das Risiko der Unzulässigkeit durch einen Substitutionseffekt zulasten der privaten Presse.
  • In prozessualer Hinsicht istin einem Verletzungsprozess konkreter Sachvortrag über sämtliche beanstandete pressetypische Inhalte beizubringen: Es reicht keine alleinige pauschale Behauptung aus, das Online-Angebot wäre beispielsweise boulevardmäßig gestaltet. Dementsprechend prüft das Gericht das pressemäßige Erscheinungsbild des bzw. pressemäßige Inhalte auf dem Online-Angebot nicht von Amts wegen.
IV. Ausblick

Der BGH hat nun endlich auch bei gemeindlichen Online-Publikationen klare Leitlinien aufgestellt, die zur Rechtssicherheit beitragen dürften. Eine uferlose pressemäßige Betätigung von gemeindlichen oder gemeindlich kontrollierten Online-Medien bleibt nach wie vor unzulässig. Allerdings bleibt der öffentlichen Hand durch die Notwendigkeit der wertenden Betrachtung hinreichend Flexibilität bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit, ohne starren Grenzen ausgesetzt zu sein.

Autor/in
István Fancsik, LL.M. (London)

István Fancsik, LL.M. (London)
Senior Associate
Essen
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