07.10.2022

Tagesspiegel gegen Bundeskanzleramt: Wie weit geht der Auskunftsanspruch des Informationsfreiheitsgesetzes?

Hintergrund

Jedermann genießt im Grundsatz einen Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen gegenüber den Behörden des Bundes über § 1 Abs. 1 Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Erfasst sind hiervon auch jegliche Bundesorgane und -einrichtungen, soweit sie öffentlich-rechtliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen. Eine eigene Betroffenheit – rechtlich oder tatsächlich – wird nicht verlangt.

Einschränkungen erfährt der Auskunftsanspruch insbesondere durch öffentliche und private Belange, welche in den §§ 3 bis 6 IFG geregelt sind. Diese Ausnahmegründe muss die Behörde darlegen.

Sachverhalt

Ab März 2020 fanden im Bundeskanzleramt Bund-Länder-Konferenzen statt, um die Corona-Pandemie zu bewältigen. Der Tagesspiegel beantragte im Dezember 2020 beim Bundeskanzleramt unter Berufung auf den Auskunftsanspruch aus dem IFG, ihm Zugang zu den Kurzprotokollen der Konferenzen zu gewähren. Denn nach Ansicht des Tagesspiegels seien die Protokolle der Corona-Gipfel aus den Anfangszeiten der Pandemie bereits jetzt historische Dokumente und es gebe ein erhebliches öffentliches Interesse daran, wie sich die Regierungschefs in den damaligen Verhandlungen positioniert hätten.

Das Bundeskanzleramt lehnte den Informationszugangsanspruch jedoch mit der Begründung ab, dass die behördlichen Beratungen als Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung zu schützen seien und die Veröffentlichung der Kurzprotokolle den künftigen freien und offenen Meinungsaustausch innerhalb der Bund-Länder-Konferenz beeinträchtigen könne. Eine anschließende Berichterstattung bringe eine neue und ungewollte Dynamik in die weiteren Beratungen zur Pandemiebekämpfung und könne sich einengend auf künftige Beratungen auswirken.

Indem sich das Bundeskanzleramt darauf berief, dass die Veröffentlichung der Kurzprotokolle zu einer Beeinträchtigung der Beratungen von Behörden führen würde, berief es sich auf den Ausnahmetatbestand des Schutzes öffentlicher Belange gem. § 3 Nr. 3b IFG.

Auf den Punkt – Die Entscheidung

Das Verwaltungsgericht Berlin (VG Berlin) hat mit Urteil vom 30. Juni 2022 entschieden, dass das Bundeskanzleramt die Kurzprotokolle nach § 1 Abs. 1 IFG herausgeben muss. Insbesondere lehnte es den Ausnahmetatbestand des § 3 Nr. 3b IFG ab. Danach besteht ein Informationszugangsanspruch nicht, wenn und solange er Beratungen von Behörden beeinträchtigt.

So ordnete die Kammer die Kurzprotokolle als amtliche Informationen ein, die dem Informationszugangsanspruch nach § 1 Abs. 1 IFG im Gegensatz zu Notizen und Entwürfen unterfallen. Bei den Kurzprotokollen handele es sich nämlich um eine endgültige Aufzeichnung des Bundeskanzleramtes. Auch sah die Kammer zwar im Grundsatz die Bund-Länder-Konferenzen als „Beratungen von Behörden“ im Sinne von § 3 Nr. 3b des IFG an. Im Kontext von § 3 Nr. 3b IFG sei aber nur der eigentliche Vorgang der behördlichen Entscheidungsfindung umfasst und nicht die Ergebnisse und Grundlagen der Entscheidung. Das Bundeskanzleramt habe hier seiner Darlegungspflicht nicht entsprochen, indem es sich auf die Bezeichnung der Kurzprotokolle als „Beratung“ beschränkt habe. Vielmehr hätte das Bundeskanzleramt diejenigen Passagen in den jeweiligen Kurzprotokollen bezeichnen müssen, die zumindest Rückschlüsse auf die Meinungsbildung zulassen.

Ebenfalls habe das Bundeskanzleramt nicht darlegen können, inwieweit die Veröffentlichung den Beratungsprozess gefährde. So sei schon nicht ersichtlich, inwieweit hier noch ein fortdauernder Beratungsprozess vorliege. Allein die andauernde Pandemielage begründe einen „Dauer-Beratungsprozess“ bei erneuten Bund-Länder-Konferenzen nicht. Auch seien diese Bund-Länder-Konferenzen bereits eingestellt worden und ein Bezug zu gegenwärtigen Beratungen vom Bundeskanzleramt nicht dargetan. Im Übrigen  stehe auch die Änderung des  Infektionsschutzgesetz (IfSG) der Einordnung als „Dauer-Beratungsprozess“ entgegen. Die Änderung des IfSG habe die Lage geändert und sei gleichbedeutend mit einer „rechtlichen Zäsur“.

In Anknüpfung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts führt die Kammer aus, dass für den Ausschlussgrund schlagwortartige Ausführungen im Hinblick auf die einengende Wirkung für zukünftige Beratungsprozesse ebenfalls nicht ausreichen. Erforderlich sei eine Darlegung der Umstände des Einzelfalles, die einen konkreten Bezug der Entscheidungsfindungsprozesse in den Kurzprotokollen zu künftigen Beratungen herstellen.

Einen Antrag auf Zulassung der Berufung hat das Bundeskanzleramt mittlerweile zurückgezogen. 

Unser Kommentar

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin stärkt den Auskunftsanspruch aus § 1 Abs. 1 IFG, was grundsätzlich als positiv zu bewerten ist. Ebenfalls wird durch das Urteil deutlich, dass der Nachweis der Voraussetzungen der Ausnahmetatbestände aus §§ 3-6 IFG der Darlegung konkreter Nachweise bedarf. Die Behörde hat dazu diejenigen Passagen zu bezeichnen, die der behördlichen Willensbildung angehören. Die bloße Behauptung der einengenden Wirkung für zukünftige Willensbildungsprozesse einer Behörde genügt hingegen nicht. Auch in Zeiten der Corona-Pandemie lehnt die Rechtsprechung es damit ab, Beratungen zwischen Bund und Ländern pauschal dem Anspruch auf Informationszugang zu entziehen.

Autor/in
Niccolo Langenheim, LL.M.

Niccolo Langenheim, LL.M.
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