15.12.2025
Das Statement des Generalsekretärs Mark Rutte auf der Pressekonferenz nach Abschluss des NATO-Gipfels im Juni 2025 war deutlich: Man müsse nun „die Ärmel hochkrempeln, um diesen neuen Plan in die Tat umzusetzen“. Zuvor hatten sich die NATO-Mitgliedsländer in ihrer Abschlusserklärung darauf verständigt, spätestens ab dem Jahr 2035 jährlich fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in Verteidigung und Sicherheit zu investieren.
Die europäische Sicherheits- und Verteidigungsindustrie befindet sich seitdem in einer Phase des Umbruchs und der Neuorientierung, wie man sie in den letzten Jahrzehnten nicht erlebt hat. Für viele Unternehmen kann es aufgrund des damit erhöhten Beschaffungsbedarfs und erhöhter Geldmittel wirtschaftlich interessant sein, Produktionsmittel im Rahmen eines Transformationsprozesses zur Belieferung von Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu verwenden. Ein besonders in der Presse präsentes Beispiel sind Unternehmen und Zulieferer der Automobilindustrie.
Unternehmen, die sich zu diesem Schritt entschließen, sind mit den Besonderheiten der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie häufig nicht vertraut, und finden sich in einem völlig veränderten wirtschaftlichen und rechtlichen Umfeld wieder. Die Transformation von Produktionsprozessen ist häufig langwierig und mit erheblichen Kosten verbunden. Aufgrund der komplexen Herausforderungen ist es essenziell, einen solchen Transformationsprozess im Unternehmen von Anfang an nicht nur technisch und betriebswirtschaftlich, sondern auch rechtlich zu begleiten.
Weder die Produktionsanlagen der Hersteller noch die Zulieferbetriebe entlang der Lieferkette sind auf die Situation ernsthaft vorbereitet. Es stehen gewaltige Umwälzungen bevor, die beispielsweise am Wachstum von Unternehmen wie Helsing, das sich von einem Startup zu einem bedeutenden Marktteilnehmer entwickelt und zuletzt allein im vereinigten Königreich Investitionen in Produktionsanlagen im mittleren dreistelligen Millionenbereich getätigt hat.
Das Beispiel zeigt: Der Aufbau neuer Produktionsanlagen ist kapitalintensiv. Wer seine Produktionskapazitäten steigern will, muss sich mit der Finanzierung des Aus- und Neubaus seiner Produktionsanlagen beschäftigen. Folglich besteht auch ein erhebliches Interesse der produzierenden Unternehmen, ihre Investitionen wirtschaftlich abzusichern, etwa durch den Abschluss langfristiger Lieferverträge.
Stärker als in manch anderer Branche sind die Rahmenbedingungen innerhalb der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie gesetzlich reglementiert. Änderungen der gesetzlichen Vorgaben können sich deshalb in erheblicher Weise auf das Geschäftsmodell der produzierenden Unternehmen und ihrer Zulieferer auswirken. Beispielsweise kann der Einsatz von Mitarbeitern in bestimmten Bereichen erfordern, dass diese Mitarbeiter eine Überprüfung nach dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) durchlaufen. Dies kann den flexiblen Einsatz von Mitarbeitern erschweren. Bei Neueinstellungen kann ein längeres Verfahren dazu führen, dass die Unternehmen erst nach Ablauf der Probezeit erfahren, ob sie ihre neuen Mitarbeiter auf einer Position einsetzen dürfen, die eine Sicherheitsfreigabe erfordert. Hinzu treten eine Vielzahl von Genehmigungserfordernissen für die Produktion, den Transport und den Export von Verteidigungsgütern. Für den Export gilt ein doppelter Genehmigungsvorbehalt, weil Genehmigungen sowohl gemäß Kriegswaffenkontrollgesetz als auch gemäß Außenwirtschaftsgesetz notwendig sind.
Es ist deshalb essentiell, die gesetzgeberische Aktivität auf diesem Gebiet zu kennen und notwendige Anpassungen an verwendeten Verträgen und Verfahren vorzunehmen. Tatsächlich zeichnet sich ab, dass sich die regulatorischen Rahmenbedingungen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in naher Zukunft grundlegend ändern könnten. Namhafte Verbände wie der Bundesverband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie fordern Anpassungen der Gesetzeslage, mit denen der Ausbau und Neuaufbau von Produktionsanlagen vereinfacht und beschleunigt werden soll. Die Bundesregierung hat im Juni 2025 einen Gesetzentwurf mit der gleichen Zielsetzung vorgelegt.
Zuletzt im Juni 2025 hat der Bundesverband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie ein umfassendes gesetzliches Maßnahmenpaket vorgeschlagen. Diese Maßnahmen betreffen in erster Linie das Vergaberecht. Der Verband schlägt vor, den Kreis potentieller Bieter bei Vergabeverfahren zu erweitern. Zurzeit sei insbesondere für Startups die Teilnahme an Vergabeverfahren unangemessen erschwert. Dem solle der Gesetzgeber entgegenwirken, indem er Umsatz- und Liquiditätsvorgaben des Vergaberechts für sicherheits- und verteidigungsrelevante Projekte absenkt oder abschafft. Außerhalb der Vergabe sollen insbesondere Genehmigungsverfahren für den Export von Verteidigungsgütern vereinfacht werden. Konkret schlägt der Verband vor, anstelle des doppelten Genehmigungsvorbehalts eine einzige Komplementärgenehmigung für den Export einzuführen. Außerdem soll der Gesetzgeber die Möglichkeit schaffen, bereits bei der Genehmigung der Herstellung auch die Ausfuhr von Verteidigungsgütern genehmigen zu lassen. Daneben sollen Sicherheitsüberprüfungen beschleunigt und Informationspflichten der beteiligten Behörden zugunsten der Unternehmen gesetzlich fixiert werden.
Der Verband fordert außerdem den verstärkten Einsatz sogenannter Vorhalteverträge. Hierbei handelt es sich um eine eigene Vertragsart, bei der die Leistung des Lieferanten nicht nur in der Lieferung des bestellten Guts besteht. Der Besteller vergütet vielmehr bereits, dass der Lieferant die zu liefernden Güter abrufbereit hält. Dies erlaubt der öffentlichen Hand die flexible Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit der Streitkräfte, ohne dass dies zu Lasten des beauftragten Unternehmens ginge.
Ob und in welchem Umfang diese Forderungen umgesetzt werden, bleibt abzuwarten. Bezüglich der Vergabeverfahren hat die Bundesregierung jedenfalls am 1. Oktober 2025 einen Regierungsentwurf für ein neues Bundeswehr-Planungs- und -Beschaffungsbeschleunigungsgesetz (BwPBBG) vorgelegt, das die Vergabe verteidigungsrelevanter Aufträge vereinfachen und beschleunigen soll (abrufbar hier: DIP - Gesetz zur beschleunigten Planung und Beschaffung für die Bundeswehr). So soll beispielsweise der Anwendungsbereich für beschleunigte Direktvergaben aufgrund wesentlicher Sicherheitsinteressen erweitert werden. Außerdem sieht der Entwurf die Möglichkeit von Vorauszahlungen durch die öffentliche Hand vor, um Investitionen zu erleichtern und den potentiellen Bieterkreis zu erweitern. Startups und Unternehmen mit geringerer Liquidität sollen davon profitieren.
Auch die Europäische Investitionsbank (EIB) hat bereits reagiert und den Finanzierungsrahmen für Investitionen in „Europas strategische und technologische Unabhängigkeit“ für 2026 deutlich auf 100 Mrd. Euro erhöht. Davon sind 4,5 Mrd. Euro fest für Investitionen in Sicherheit und Verteidigung vorgesehen (EIB-Gruppe setzt sich erneut Rekordziel von 100 Mrd. Euro für Europas strategische und technologische Unabhängigkeit). Außerdem erweiterte sie den Katalog förderungsfähiger Projekte in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie. Auch dies ist letztlich ein wichtiges Signal für kleine und mittelständische Unternehmen, deren Kreditgeber sich häufig bei der EIB refinanzieren. Insgesamt hat die EIB den Zugang von Unternehmen der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu Finanzmitteln erheblich erleichtert. Die förderungsfähigen Projekte weisen eine beachtliche Bandbreite auf. Sie umfassen jetzt auch Infrastrukturprojekte mit militärischem Bezug, Forschungs- und Entwicklungsprojekte beispielsweise in der Drohnentechnologie, Projekte in der Cybersicherheit und sogar in der Raumfahrt. Neben der Beschaffung von Militärhubschraubern durch Italien hat die EIB deshalb beispielsweise auch die Entwicklung von Satelliten in Polen und Spanien oder Programme für Cybersicherheit in Frankreich und Investitionen in die militärische Infrastruktur im Baltikum mitfinanziert.
Aufgrund dieser und weiterer EU-weiter Erleichterungen in der Finanzierung von Sicherheits- und Verteidigungsprojekten ist es beteiligten Unternehmen unbedingt zu empfehlen, ihre Finanzierungsmöglichkeiten neuerlich zu überprüfen.
Darüber hinaus fällt die Erhöhung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungsausgaben in eine Zeit eines nie dagewesenen Strukturwandels in der Automobilindustrie. Bedingt durch zunehmende Marktanteile von Fahrzeugen mit Elektromotor und eine angespannte internationale Konkurrenzsituation erwägen mehrere europäische Automobilhersteller, ihre Produktionskapazitäten durch Schließung von Produktionsstandorten deutlich zu reduzieren. Die Transformation der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie kann daher für betroffene Unternehmen im Einzelfall eine Chance darstellen, vorhandene Produktionsmittel künftig bei der Produktion anderer Waren und Produkte einzusetzen. Bereits heute sind einige Automobilhersteller in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie engagiert, häufig durch Tochterunternehmen und Joint Ventures. Aber auch einige Zulieferer und Dienstleister der Automobilindustrie versuchen aufgrund der aktuellen Marktlage, ihr Angebot stärker zu diversifizieren und neue Aufträge in der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie zu akquirieren.
Eine solche Transformation der Nutzung der Produktionsanlagen hin zur Produktion von Sicherheits- und Verteidigungsgütern ist allerdings mit erheblichen tatsächlichen und rechtlichen Herausforderungen verbunden. In organisatorischer Hinsicht ist es in aller Regel empfehlenswert, die Produktion und den Vertrieb von Gütern der Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in eine eigene Business Unit auszugliedern, was gesellschaftsrechtliche Fragen wie die Wahl der passenden Rechtsform der Business Unit aufwirft. Auch hinsichtlich der Produktion können rechtliche und technische Maßnahmen erforderlich sein. Vorhandene Produktionsanlagen sind häufig aus technischen Gründen erst nach umfangreichen Umbauten zur Produktion von Sicherheits- und Verteidigungsgütern geeignet. Eine rechtliche Herausforderung liegt insbesondere in der Umsetzung der regulatorischen Vorgaben für die Sicherheits- und Verteidigungsindustrie, beispielsweise in der Durchführung der erforderlichen Genehmigungsverfahren oder den bereits umrissenen Anforderungen des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes an bestimmte Mitarbeiter. Außerdem ist davon auszugehen, dass Unternehmen ihre Lieferketten vollständig neu strukturieren müssen. Solche Besonderheiten sind beispielsweise die Qualitätsmanagementpläne, die einige öffentliche Auftraggeber verlangen, und die Auftragnehmer daher häufig vertraglich auch ihren Zulieferern abverlangen. Dies erfordert ein umfassendes Vertragsmanagement zur Beendigung alter und Abschluss neuer Lieferverträge.
Dr. Christoph von Burgsdorff, LL.M. (Essex)
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