31.03.2020

CORONA-Krise: Zur Gefahrenabwehr verfügte Einschränkungen des Besuchsrechts in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern - rechtlich zulässig?

Hintergrund

Für Bewohner und Bewohnerinnen von Pflegeeinrichtungen oder Patienten in Krankenhäusern sind alltägliche Besuche von Angehörigen und Freunden eine Grundbedingung für ihr Wohlbefinden. Im Zuge der Corona-Krise werden nun weitreichende Besuchsverbote ausgesprochen: Zum Teil durch die zuständigen Behörden, zum Teil durch die jeweilige Einrichtungsleitung, häufig mit noch strikteren Verboten als durch die offiziellen Stellen. Wie ist die Rechtslage? Was ist rechtlich zulässig, d.h. auf welcher Basis können solche Verbote verhängt werden und welche rechtlichen Maßgaben sind insoweit zu beachten?

1. Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Maßnahmen

Besuchs- und Zugangsrechte von Angehörigen resultieren aus dem Grundrecht der Familie (Art. 6 GG – Schutz der Familie). Sie haben also einen hohen Stellenwert. Das bedeutet jedoch nicht, dass die Rechte der Besucher stets Vorrang vor denen der Bewohnerinnen und Bewohner genießen, die ihrerseits ein berechtigtes Interesse am Schutz ihrer Gesundheit haben (Art. 2 Abs. 2 GG). Liegen außergewöhnliche Umstände vor – wie derzeit aufgrund des hohen Infektionsrisikos durch das Corona-Virus – , kann das Besuchsrecht eingeschränkt oder sogar ganz ausgeschlossen werden. Insoweit bedarf es stets einer Abwägung kollidierender Grundrechtsinteressen: Es ist zwischen den Rechten der Besucher und den Interessen der Bewohnerschaft sowie des Trägers der Einrichtung abzuwägen. Als Rechtsgrundlage für die Einschränkung des Besuchsrechts kommen einerseits ordnungsrechtliche Regelungen und andererseits das aus dem Eigentum resultierende Hausrecht der Einrichtung sowie die Schutz- und Fürsorgepflicht des Trägers in Betracht.

2. Einschränkungen des Besuchsrechts auf ordnungsrechtlicher Grundlage

Auf ordnungsrechtlicher Grundlage kann eine Einschränkung des Besuchsrechts durch die zuständigen Aufsichtsbehörden (Heim- oder Gesundheitsbehörden) ausgesprochen werden. Das erfolgt auf Basis der Generalklausel des Infektionsschutzgesetzes (§ 28 Abs. 1 Satz 2 IfSG) in Verbindung mit der allgemeinen ordnungsrechtlichen Befugnis zur Gefahrenabwehr (z.B. § 14 OBG NW). Die Voraussetzungen dafür liegen vor: Angesichts des hohen Gefahrenpotentials des Corona-Virus einerseits und der besonderen Schutzbedürftigkeit von alten oder kranken Menschen (Hoch-Risikogruppe) andererseits, sind Kontakteinschränkungen bis auf weiteres die einzige Möglichkeit, diese Personen vor unabsehbaren Risiken für ihre Gesundheit und ihr Leben zu schützen.

In der Praxis war festzustellen, dass die durch die zuständigen Behörden Anfang bis Mitte März 2020 zunächst ausgesprochenen Besuchsrechtseinschränkungen nicht konsequent ausfielen: Denn Besuche je Bewohner pro Tag von maximal einer Stunde sollten möglich bleiben. Dass es für die Verminderung des Infektionsrisikos indes nicht auf die Dauer des Besuchs, sondern auf den Kontakt mit „Außenstehenden“ als solchen ankommt, wurde inzwischen erkannt. Folge ist nun ein konsequenter Schutz in Form von strikten Besuchs- und Zugangsverboten, die ordnungsrechtlich verfügt wurden.

3. Einschränkungen des Besuchsrechts aufgrund Hausrecht und Fürsorgeverpflichtung

Unabhängig von den aktuellen ordnungsrechtlichen Anordnungen und Maßnahmen – die strikt zu befolgen sind - stellt sich aus Sicht der betroffenen Einrichtungen und der jeweiligen Einrichtungsleitung die Frage, ob sie zum Schutz der anvertrauten Kranken und Pflegebedürftigen auch selbstständig Einschränkungen des Besuchsrechts verfügen könnten. Diese Frage ist spätestens dann zu beantworten, wenn die ordnungsrechtlichen Maßnahmen wieder gelockert oder aufgehoben werden sollten. Diese Frage ist – aufgrund der außergewöhnlichen Umstände - grundsätzlich zu bejahen: Die Einrichtungsleitung kann sich insofern auf ihr Hausrecht berufen, das auf dem Eigentumsrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) fußt. Zugleich kann sie auf ihre Fürsorge- und Schutzverpflichtung zugunsten der Bewohner und Patienten verweisen. Solange ein Infektionsrisiko für besonders gefährdete Personen noch immer droht kann die Untersagung des Zutritts und der Ausschluss des Besuchsrechts das einzig effektive Mittel darstellen. Das gilt jedenfalls dann, wenn die Unterbindung direkter Kontakte zu den besonders gefährdeten Personen nicht durch andere, ähnlich effektive Maßnahmen gewährleistet werden kann (z.B. Abschirmung durch Schutzkleidung oder räumliche Barrieren).

Im Zweifel gehen die vitalen Interessen der besonders gefährdeten Personen an ihrem Gesundheitsschutz den Interessen der Angehörigen und anderer Personen an einem persönlichen Besuch vor. Enge Ausnahmen sind denkbar, wenn es die besondere Situation erfordert (z.B. Begleitung Sterbender).

Fazit: Strikte Besuchs- oder Zugangsverbote stellen einen erkennbar schwerwiegenden Eingriff zulasten der Angehörigen dar. Gleichwohl können sie aufgrund der existenziellen Corona-Gefahr rechtlich legitimiert sein: Wenn sie im Interesse des Gesundheitsschutzes besonders gefährdeter Personen, wie kranker oder alter Menschen, das einzige Mittel zur effektiven Gefahrenabwehr darstellen. Als Rechtsgrundlage kommen dafür ordnungsrechtliche Vorschriften (IfSchG) aber auch – unabhängig davon – das Hausrecht der jeweiligen Einrichtung in Betracht, solange akute Gefahren drohen und eine Abwehr mit milderen Mitteln nicht verantwortbar ist.

Autor/in
Prof. Dr. Tobias Leidinger

Prof. Dr. Tobias Leidinger
Partner
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