29.04.2021

BGH zu grenzüberschreitender fristwahrender Klagezustellung bei Insolvenzanfechtung durch einen Insolvenzverwalter

Hintergrund

Bislang bestanden viele Unsicherheiten im Hinblick auf die Anforderungen an eine rechtmäßige Zustellung einer Klage im EU-Ausland. Mit Urteil vom 25. Februar 2021 hat der für Insolvenzsachen zuständige IX. Zivilsenat des BGH nun etwas Licht ins Dunkel gebracht. Der Senat beschäftigte sich mit der Frage, ob bei der Zustellung einer Klage im EU-Ausland eine Übersetzung erforderlich ist und unter welchen Voraussetzungen trotz Verzögerungen bei der Übersetzung eine Zustellung noch als „demnächst“ i.S.d. § 167 ZPO erfolgen kann.

Der Fall

Der deutsche Kläger ist Insolvenzverwalter. Er machte Zahlungsansprüche im Rahmen einer Insolvenzanfechtung gegen die Beklagte, die ihren Sitz in Frankreich hat, geltend. Mit der Insolvenzanfechtung werden Vermögensverschiebungen vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens rückgängig gemacht. Die Verjährung des Anfechtungsanspruchs wäre am 31. Dezember 2015 eingetreten, wenn die Verjährungsfrist nicht durch rechtzeitige Zustellung der Klage bei der Beklagten unterbrochen worden wäre.

Der Kläger hatte am 15. Dezember 2015 die Klageschrift in deutscher Sprache beim zuständigen Landgericht eingereicht und am 31. Dezember 2015 den angeforderten Gerichtskostenvorschuss bezahlt. Einen Monat später erhielt der Kläger eine Anfrage des Landgerichts, ob die Klageschrift vor Zustellung übersetzt werden solle. Diese Anfrage bejahte er und bezahlte wenige Tage später den geforderten  Auslagenvorschuss für die Übersetzung. Die Übersetzung der Klage in die französische Sprache erfolgte allerdings erst am 24. Oktober 2016 und die Zustellung der übersetzten Klageschrift an den Beklagten erfolgte erst am 9. Dezember 2016. Die Beklagte berief sich deshalb auf Verjährung.

 

Die Entscheidung

Der Senat hat entschieden, dass der Insolvenzanfechtungsanspruch des Klägers nicht verjährt ist. Zwar sei die Klage erst ein knappes Jahr nach Ablauf der Verjährungsfrist an die  Beklagte zugestellt worden. Dies sei nach Ansicht des Senats allerdings unschädlich, da die Zustellung der Klage „demnächst“ gemäß § 167 ZPO erfolgte. Das gelte selbst bei einer Verzögerung der Zustellung von mehreren Monaten. Denn Ziel der Rückwirkung des § 167 ZPO sei es, Parteien vor Nachteilen durch Verzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebes zu bewahren. Die Vorschrift sei daher im Wege einer wertenden Betrachtung, nicht aber im Wege einer rein zeitlichen Betrachtung auszulegen.

Der zustellenden Partei seien allerdings solche Verzögerungen zuzurechnen, die auf ihre eigene Nachlässigkeit zurückzuführen sind. Der Senat stellt jedoch klar, dass eine solche Nachlässigkeit nicht darin gesehen werden könne, dass der Kläger erst auf Anfrage des Gerichts eine Übersetzung der Klageschrift veranlasst habe.

Der Senat führt zunächst aus, dass der Kläger nach Maßgabe der Art. 5, Art. 8 VO (EC) Nr.  1393/ 2007 (EuZVO) für die Zustellung der Klage im Ausland zwischen mehreren Arten eine Auswahl treffen könne. Demzufolge könne er sich dafür entscheiden, die Klageschrift ohne Übersetzung zustellen zu lassen. Die Rechte des Empfängers würden in diesem Fall dadurch gewahrt, dass diesem ein Annahmeverweigerungsrecht zustünde, wenn die Klageschrift in einer Sprache verfasst sei, die er nicht verstehen könne bzw. nicht die Amtssprache des Empfangsstaats sei. Würde die Annahme zu Recht verweigert, sei die Zustellung schwebend unwirksam, bis erneut zugestellt würde. Alternativ stünde es dem Kläger  auch offen, die Klageschrift mit einer Übersetzung zustellen zu lassen. Dabei könne die Übersetzung entweder durch den Kläger selbst oder aber durch das Gericht eingeholt werden. Besondere Formvoraussetzungen für die Übersetzung seien nicht erforderlich. Eine einfache Übersetzung genüge.

Unabhängig davon, für welche Zustellungsart sich der Kläger entscheide, stellt der Senat fest, dass etwaige gerichtliche Verzögerungen dem Kläger nicht anzulasten seien. Die EuZVO bezwecke im Ausgangspunkt die Verbesserung und Beschleunigung der Übermittlung gerichtlicher Schriftstücke zwischen den Mitgliedstaaten. Dabei dürfe man aber nicht die Interessen der Parteien unberücksichtigt lassen.

Dies sei allerdings zu befürchten, wenn man den Kläger zum Zwecke der Fristwahrung zunächst auf einen Zustellungsversuch ohne Übersetzung verweisen würde. Dadurch würde diese Zustellungsart zum Regelfall, was weder die Interessen des Beklagten  noch die des Klägers hinreichend berücksichtige. Denn für den Beklagten bedeute eine vorrangige Zustellung ohne Übersetzung eine überhöhte Einlassungslast. Schließlich müsse sich dieser mit seinem Annahmeverweigerungsrecht auseinandersetzen und es ausüben. Für den Kläger hingegen ergäben sich Unsicherheiten für eine fristwahrende Zustellung. Denn sollte der Beklagte die Annahme mangels Übersetzung verweigern, bedürfe es einer zweiten Zustellung, die unverzüglich erfolgen müsse. Wann eine „Unverzüglichkeit“ anzunehmen wäre, sei allerdings nicht geregelt. Somit träfe den Kläger ein zusätzliches Verjährungsrisiko, weil er nicht wisse, welcher Zeitraum ihm für eine erneute Zustellung zur Verfügung stünde. Daher sei es nicht zumutbar, dem Kläger im Rahmen des § 167 ZPO eine Vorgehensweise abzuverlangen, die für ihn mit prozessualen Nachteilen verbunden seien könnte.

Schließlich stellt der Senat klar, dass eine Nachlässigkeit des Klägers auch nicht darin zu sehen sei, dass er die Übersetzung bei Gericht beantragt und nicht schon selbst im Vorfeld der Klage veranlasst habe. Um die Rückwirkung des § 167 ZPO zu erhalten, müsse der Kläger lediglich die Voraussetzungen für eine alsbaldige Zustellung schaffen. Dies habe er bereits dann getan, wenn neben der fristgerechten Einreichung der Klageschrift auch der Gerichtskostenvorschuss und der Auslagenvorschuss für die Übersetzung einbezahlt worden sei. Im Übrigen bestünde auch keine Verpflichtung des Klägers, das Gericht auf eine zeitnahe Übersetzung hin zu kontrollieren. Der Kläger dürfe vielmehr erwarten, dass das Gericht das Zustellungsverfahren in eigener Zuständigkeit ordnungsgemäß betreibe.

Fazit

Für unsere europäischen Nachbarn ist das Urteil zunächst deshalb beachtlich, weil es belegt, dass das deutsche Insolvenzanfechtungsrecht auch grenzüberschreitend zur Geltung gebracht wird. Gemäß Art. 6 (1) VO (EU) 2015/848 ist das für Insolvenzanfechtungsklagen zuständige Gericht am Sitz des insolventen Schuldners (lex fori concursus, Art. 3 (1) VO (EU) 2015/848). Im europäischen Ausland sitzende Unternehmer sind deshalb gut beraten, bei Geschäftsbeziehungen zu deutschen Unternehmen das Insolvenzanfechtungsrecht stets im Auge zu behalten und möglichst frühzeitig ein Schutzkonzept zu entwickeln.

In zivilprozessualer Hinsicht ist mit dem Urteil des BGH jetzt geklärt, dass übersetzungsbedingte Verzögerungen bei der grenzüberschreitenden Zustellung einer Klage nicht zu Lasten des Klägers gehen. Dies gilt selbst bei Verzögerungen von bis zu einem Jahr. Zum anderen steht nun fest, dass der Kläger ein Wahlrecht hat, ob eine Übersetzung der Klage überhaupt erfolgen soll und wenn ja, ob diese vom Gericht anzufertigen ist. Der Kläger hat allerdings weiterhin sicherzustellen, dass er seinerseits alles getan hat, um eine alsbaldige Zustellung zu gewährleisten. Er hat insbesondere die nachfolgenden Punkte zu beachten:

  • Übermittlung der Klageschrift an das zuständige Gericht innerhalb der Verjährungsfrist
  • Bezahlung des Gerichtskostenvorschusses unmittelbar nach Aufforderung
  • Bezahlung eines Auslagenvorschusses zur Übersetzung der Klageschrift unmittelbar nach Aufforderung (wenn die Übersetzung durch das Gericht erfolgen soll)
Autorinnen

Christiane Kühn, LL.M. (Hong Kong)
Senior Associate
München
christiane.kuehn@luther-lawfirm.com
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Linda Kirchhoff
Senior Associate
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