28.05.2021

Trittbrettfahren erlaubt? - BGH erklärt „enge Bestpreisklausel“ von Booking.com für unzulässig

In einem aktuellen Beschluss hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass die sog. „enge Bestpreisklausel“ von Booking.com gegen das Kartellrecht verstößt. Diese beschränke den Wettbewerb beim Anbieten von Hotelzimmern (BGH, Beschluss vom 18. Mai 2021, Az. KVR 54/20). Damit bestätigte der BGH das Bundeskartellamt und entschied entgegen der Vorinstanz. Das OLG Düsseldorf hatte im Juni 2019 die enge Bestpreisklausel von Booking.com für zulässig erklärt, da sie insbesondere zur Vermeidung des „Trittbrettfahrens“ als Nebenabrede zu einem kartellrechtsneutralen Austauschvertrag notwendig sei (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4. Juni 2019, Az. VI-Kart 2/16 (V) – Enge Bestpreisklausel II). Der BGH sieht demgegenüber in der engen Bestpreisklausel keine unerlässliche Nebenabrede, da Booking.com auch ohne die enge Bestpreisklausel seine Marktstellung stärken konnte. Zudem bedeute die Trittbrettfahrerproblematik keine hinreichend gravierende Gefährdung der Effizienz des Plattformangebots, so dass auch eine Einzelfreistellung ausscheide. Der BGH bestätigt damit einmal mehr, dass die Einzelfreistellung in der Praxis an erhebliche Hürden gebunden ist. Über die Frage der Gruppenfreistellung entschied der BGH allerdings nicht, da dies schon aufgrund der Überschreitung der Marktanteilsschwellen ausschied. Hier wird man gespannt auf die Entwicklungen zur Reform der Vertikal-Gruppenfreistellungsverordnung schauen, die nach Ansicht der EU Kommission derartige Klauseln bisher freistellt. Die Kommission hat aber zur Diskussion gestellt, ob dies in Zukunft jedenfalls für weite Bestpreisklauseln ggf. anders gehandhabt werden sollte.

Hintergrund

Hotelbuchungsportale wie Booking.com bieten Hotelkunden Direktbuchungen an. Die Hotelportalbetreiber schließen dazu mit den Hotels Verträge über die Vermittlung von Hotelbuchungen gegen Zahlung einer erfolgsabhängigen Provision. Für die Hotelkunden ist die Nutzung der Portalplattform kostenlos. Findet der Hotelkunde das Hotel über die Online-Plattform, bucht dann aber direkt bei dem Hotel, entgeht Booking.com die Vermittlungsprovision (sog. Trittbrettfahrer-Problematik), obwohl der Kunde das Hotel über die Plattform gefunden hat.

Die Vermittlungsverträge der Hotelbuchungsportale mit den Hotels sahen zunächst weite Bestpreisklauseln vor. Diese verpflichteten das Hotel, dem Hotelportalbetreiber stets die günstigsten Hotelpreise anzubieten und diese Preise weder im eigenen Online-Vertrieb noch auf anderen Vertriebskanälen zu unterbieten. Mit Beschluss vom 9. Januar 2015 entschied das OLG Düsseldorf in einem Verfahren gegen das Hotelbuchungsportal HRS, dass dessen weite Bestpreisklausel gegen § 1 GWB und Art. 101 AEUV verstoße (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 9. Januar 2015, Az. VI-Kart 1/14 (V) - Bestpreisklausel).

Zwischen Juli 2015 und Februar 2016 verwendete Booking.com dann sog. „enge Bestpreisklauseln“. Diese sehen vor, dass die Hotels ihre Zimmer auf der eigenen Webseite nicht zu niedrigeren Preisen oder besseren Konditionen anbieten als auf der Plattform von Booking.com. Jedoch können Hotels die Hotelzimmer auf anderen Hotelportalen oder, unter der Voraussetzung, dass dafür online keine Werbung oder Veröffentlichung erfolgt, auch "offline" günstiger anbieten. Mit Beschluss vom 22. Dezember 2015 stellte das Bundeskartellamt fest, dass auch die engen Bestpreisklauseln kartellrechtswidrig seien und untersagte ihre weitere Durchführung.

Anderer Ansicht als das Bundeskartellamt war das OLG Düsseldorf. Es entschied im Juni 2019, dass die enge Bestpreisklausel von Booking.com zwar den Wettbewerb beeinträchtige, indem sie die Handlungsfreiheit der Hotelunternehmen bei der Preisbildung beschränke (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4. Juni 2019, Az. VI-Kart 2/16 (V) – Enge Bestpreisklausel II). Jedoch sei die enge Bestpreisklausel als notwendige Nebenabrede des kartellrechtsneutralen Hotelportalvertrages vom Anwendungsbereich des Kartellverbots ausgenommen. Sie sei für einen fairen und ausgewogenen Leistungsaustausch zwischen Booking.com als Hotelportalbetreiber und den Hotels als Abnehmer der Vermittlungsleistung erforderlich und gehe weder zeitlich noch räumlich oder sachlich über das zur Zielerreichung Erforderliche hinaus. Die enge Bestpreisklausel verhindere insbesondere die Trittbrettfahrer-Problematik (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4. Juni 2019, Az. VI-Kart 2/16 (V) – Enge Bestpreisklausel II, Rn. 71 ff.). 

Die aktuelle Entscheidung des BGH

Der BGH hat die Entscheidung des OLG Düsseldorf aufgehoben und die Beschwerde von Booking.com gegen die Untersagung seitens des Bundeskartellamts zurückgewiesen.

Nach Ansicht des BGH beschränkt die enge Bestpreisklausel den Wettbewerb beim Anbieten von Hotelzimmern. Da die gebundenen Hotels im eigenen Onlinevertrieb keine günstigeren Zimmerpreise und Vertragsbedingungen anbieten dürften als auf booking.com, werde ihnen insbesondere die Möglichkeit genommen, die eingesparte Vermittlungsprovision vollständig oder teilweise in Form von Preissenkungen an die Kunden weiterzugeben und diese dadurch zu werben.

Der BGH erteilt der Ansicht des OLG Düsseldorf, wonach es sich bei der engen Bestpreisklausel um eine notwendige Nebenabrede zu einem kartellrechtsneutralen Austauschvertrag handele, eine klare Absage und kritisiert den systematischen Ansatz des OLG Düsseldorf. Eine Abwägung geltend gemachter wettbewerbsfördernder Aspekte, wie die Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Plattformleistung durch Lösung des Trittbrettfahrerproblems könne allein bei der Prüfung der Voraussetzung für eine Freistellung vom Kartellverbot nach Art. 101 Abs. 3 AEUV erfolgen. Die enge Bestpreisklausel sei als Nebenabrede für die Durchführung des Plattformvertrages jedoch nicht objektiv notwendig. Für den Vertragszweck der Online-Vermittlung von Hotelzimmern sei sie keine unerlässliche Nebenabrede, da Booking.com seine Marktstellung in Deutschland habe weiter stärken können, obwohl Booking.com seit Februar 2016 die engen Bestpreisklauseln nicht mehr verwende. Dass Booking.com seine Marktposition seit Februar 2016 auch ohne die enge Bestpreisklausel gesichert und ausgebaut hat, hatte das OLG Düsseldorf demgegenüber noch als „(v)on vornherein ohne Bedeutung (…)“ bewertet (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4. Juni 2019, Az. VI-Kart 2/16 (V) – Enge Bestpreisklausel II, Rn. 70 – juris).

Die Positionierung des BGH zur Nebenabrede hatte sich bereits im Beschluss vom 14. Juli 2020 über die Zulassung der Rechtsbeschwerde des Bundeskartellamts angedeutet. Dort hatte der BGH darauf verwiesen, dass aufgrund der überragenden Bedeutung des Wettbewerbsparameters Preis die enge Bestpreisklausel qualitativ mit keinem der vom OLG Düsseldorf angeführten Beispielen zur Immanenztheorie vergleichbar sei und preisbezogene vertikale Wettbewerbsbeschränkungen zur Lösung von Trittbrettfahrerproblemen bisher allein im Zusammenhang mit der Möglichkeit einer Einzelfreistellung nach Art. 101 Abs. 3 AEUV bzw. § 2 GWB erörtert worden seien (BGH, Beschluss vom 14. Juli 2020, Az. KVZ 56/19, Rn. 9 f. - juris).

Der BGH lehnt nun auch eine Einzelfreistellung gem. Art. 101 Abs. 3 AEUV ab, da es bereits an der Voraussetzung einer Verbesserung der Warenerzeugung oder –verteilung oder der Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts fehle. Zwar führe die enge Bestpreisklausel zu Effizienzvorteilen, beispielsweise der erweiterten Kundenreichweite des Hotels. Die Effizienzvorteile setzten die enge Bestpreisklausel aber nicht voraus. Dass Trittbrettfahrerproblem gefährde die Effizienz des Plattformangebots nicht gravierend, wohingegen die enge Bestpreisklausel den plattformunabhängigen Onlinevertrieb der Hotels erheblich behindere.

Fazit

Da Booking.com die engen Bestpreisklauseln seit Februar 2016 schon nicht mehr verwendet, ändert sich für die Hotels im täglichen Buchungsgeschäft nichts.

Rechtspolitisch und zukunftsgerichtet hat der BGH-Beschluss aber weitreichendere Folgen. Der Beschluss des BGH zeigt erneut, dass außerhalb des „sicheren Hafens“ einer Gruppenfreistellung, es äußerst schwierig ist, über Effizienzvorteile eine Wettbewerbsbeschränkung zu rechtfertigen. Die Einzelfreistellung, welche systematisch als Freistellungsmöglichkeit neben der Gruppenfreistellung steht, läuft Gefahr, zum theoretischen Konstrukt zu werden, auf das Unternehmen in der Praxis kaum setzen können. Es ist grundsätzlich anerkannt, dass die Trittbrettfahrerproblematik eine typische Fallgruppe bildet, die dahingehende Wettbewerbsbeschränkungen rechtfertigt. Dass in den Plattformfällen das Trittbrettfahrerproblem präsent ist, und jedenfalls die engen Bestpreisklauseln diese Problematik auch adressieren, dürfte dabei unbestritten sein. Die Einzelfreistellung scheitert aber laut BGH daran, dass Booking.com trotz der einstweiligen Einstellung der Verwendung der Klausel sein Geschäft ausgeweitet hatte. Muss ein Unternehmen folglich das Trittbrettfahren immer schon dann dulden, wenn es trotz des Trittbrettfahrern noch erfolgreich am Geschäftsverkehr teilnimmt? Das erscheint fraglich und entwertet die Bedeutung der Trittbrettfahrerproblematik im Kontext des Art. 101 Abs. 3 AEUV.

Umso bedeutender wird es sein, die Entwicklung auf EU-Ebene zu beobachten - nämlich die Frage, wie solche Klauseln zukünftig im Rahmen der VO (EU) Nr. 330/2010 („Vertikal-GVO“) zu beurteilen sein werden. Denn die Frage, ob enge Bestpreisklauseln nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV gruppenfreigestellt sein können, war nicht Gegenstand der Entscheidung. Hierüber hatte der BGH nicht zu entscheiden, da Booking.com auf dem relevanten Markt der Hotelbuchungsplattformen in Deutschland einen Marktanteil von mehr als 30 % hat. Ob der BGH bei einem Marktanteil von weniger als 30 % eine Gruppenfreistellung nach Art. 2 Abs. 1 Vertikal-GVO bei Bestpreisklauseln von Hotelportalen bejahen würde, ist nach seinem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde des Bundeskartellamtes fraglich. Dort vertrat der BGH die Ansicht, dass es sich bei der engen Bestpreisklausel um eine preisbezogene Vereinbarung handele, deren Wirkung vergleichbar mit einer Mindestpreisvorgabe sei, die als Kernbeschränkung qualifiziert werde (BGH, Beschluss vom 14. Juli 2020, Az. KVZ 56/19, Rn. 9 – juris). Bei Kernbeschränkungen nach Art. 4 Vertikal-GVO ist eine Gruppenfreistellung bekanntlich ausgeschlossen. Die Ausführungen des BGH zur Kernbeschränkung qua „vergleichbarer Wirkung“ lässt aber den Wortlaut der Vertikal-GVO außer Acht, wonach eine Kernbeschränkung nur dann vorliegt, wenn der Abnehmer bzw. der Vermittler (vgl. Art. 1h Vertikal-GVO) in seiner Preisfindung beschränkt wird. Das ist bei den Bestpreisklauseln, die den Lieferanten (hier: die Hotels) beschränken, nicht der Fall. Dementsprechend hat das OLG Düsseldorf in seiner Expedia-Entscheidung Bestpreisklauseln zutreffend als vertikale Wettbewerbsbeschränkung vom Kartellverbot freigestellt angesehen (OLG Düsseldorf, Urteil vom 4. Dezember 2017, Az. VI-U (Kart) 5/17, Rn. 34  –, juris). Dies ist auch die Rechtsansicht der EU-Kommission unter der aktuellen Vertikal-GVO. Unternehmen sollten in diesem Zusammenhang daher auch die europäische Entwicklung im Auge behalten: Die Vertikal-GVO läuft am 31. Mai 2022 aus. Die Europäische Kommission wägt im Rahmen des Reformprozesses gerade die Frage, ob und in welchem Ausmaß Bestpreisklauseln weiterhin (!) gruppenfreigestellt sein sollen. Neben einer Gruppenfreistellung von Bestpreisklauseln kommt auch die Aufnahme aller oder nur der weiten Bestpreisklauseln in den Katalog der nicht freigestellten Beschränkungen des Art. 5 Vertikal-GVO in Betracht (Europäische Kommission, Inception Impact Assessment vom 23. Oktober 2020, Ref. Ares (2020)5822391). Dies hätte zur Folge, dass diese Klauseln zwar nicht die Gruppenfreistellung der gesamten Vereinbarung verhindern, wohl aber im Einzelfall darauf zu bewerten sind, ob sie tatsächlich den Wettbewerb beschränken und ob sie einzelfreigestellt sind. Die Perspektiven für eine positive Beurteilung sind nach dem BGH-Urteil aber nicht rosig. Eine Verschärfung der Regelungen in der Vertikal-GVO wäre für kleine Plattformen und neue Marktteilnehmer daher eine schlechte Nachricht, weil sie an den gleichen strengen Maßstäben gemessen würden, wie Unternehmen mit Marktanteilen über 30 %. Die Kartellrechts-Community blickt daher gespannt nach Brüssel: Noch vor der „Sommerpause“ soll ein erster Entwurf für die neue Vertikal-GVO vorgelegt werden.  

Autor/in
Dr. Sebastian Felix Janka, LL.M. (Stellenbosch)

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Anne Caroline Wegner, LL.M. (European University Institute)

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