29.05.2019

Persönliche Verantwortung und die Produktbeobachtungspflicht im Wandel der Digitalisierung

Blog

Die Digitalisierung und die damit verbundenen technischen Möglichkeiten vereinfachen das tägliche Leben und bieten dem Hersteller gleichzeitig einen „Fernzugriff“ auf ihre Produkte. Hierdurch eröffnet sich die Möglichkeit zur Überwachung von Produktzuständen in Echtzeit. Dabei stellt sich die Frage, ob mit dem immer größer werdenden Fortschritt sich die sog. Produktbeobachtungspflicht des Herstellers verschärft und welche Konsequenzen dies für die handelnden Personen hat. Die handelnden Personen sind dabei meist neben der Geschäftsführung auch die leitenden Angestellten.

Hintergrund

Die Produktbeobachtungspflicht

Für die Pflichten eines Herstellers im Umgang mit den von ihm hergestellten und vertriebenen Produkten gilt, dass diese nicht mit dem sog. Inverkehrbringen enden. Vielmehr treffen den Hersteller im Rahmen der Verpflichtung zur Produktbeobachtung Warn- und Gefahrabwendungspflichten, wenn sich im Laufe der Produktverwendungen Gefahren abzeichnen: So ist der Hersteller verpflichtet, ihm etwa im Wege der Reklamation zugetragene Informationen auszuwerten (passive Produktbeobachtung) sowie sich selbständig Informationen über sein Produkt am Markt zu beschaffen (aktive Produktbeobachtung). Die Pflicht zur Produktbeobachtung erfährt ihre Begrenzung dort, wo dies dem Hersteller im Rahmen des Technischen oder Wirtschaftlichen nicht mehr zumutbar ist.
 

Einfluss der Digitalisierung

Spannend für Unternehmen und die für sie handelnden Personen ist die Frage, wie der rasante technische Wandel sich auf die Pflichten zur Produktbeobachtung auswirkt. Dies deshalb, da die digitale Welt die Möglichkeit der unmittelbaren Überwachung von Produktzuständen eröffnet. Herstellern ist es technisch oft ohne weiteres möglich, in Echtzeit den Zustand von Produkten zu verfolgen. Dies gilt beispielhaft für die Automobilindustrie, Anbieter sog. smart-products sowie Medizinprodukte. Die Kernfrage lautet daher: Verändert sich der Maßstab des Zumutbarkeitskriteriums aufgrund der weitergehenden technischen Möglichkeiten zu Lasten des Herstellers und damit der für sie handelnden Personen? Eine höchst- bzw. obergerichtliche Entscheidung hierzu gibt es noch nicht. Nichtsdestotrotz steht das Zumutbarkeitskriterium im engen Zusammenhang mit den immer einfacher werdenden Möglichkeiten des Herstellers, wichtige sicherheitsrelevante Informationen seiner Produkte via Datenverbindung zu erlangen. Ein Blick in die Automobilbranche zeigt, welche verheerenden Folgen in der Praxis ein fehlerhaftes (Teil-)Produkt nach sich ziehen kann und gleichzeitig wie sehr die frühzeitige Erkennung und Behebbarkeit von Problemen an Auftrieb gewinnt.
 

Haftungsrechtliche Konsequenzen – Wann die Unternehmensleitung persönlich einstehen muss

Hieran anknüpfend kann ein Pflichtverstoß zur Haftung des Herstellers führen. Während die sog. Gefährdungstatbestände des ProdHaftG unstreitig ausschließlich unternehmensbezogen sind, wird eine zusätzliche Haftung der handelnden Personen, insbesondere den Geschäftsleitungsorganen, nach allgemeinem Deliktsrecht unterschiedlich beurteilt. Im Kern geht es um die Frage, ob sich aus der Produktbeobachtungspflicht des Herstellers auch eine persönliche Haftung der handelnden Person gegenüber Dritten ableiten lässt. Im Ergebnis kommt dies nur dann infrage, wenn eine besondere, über das sog. Organverhältnis (sprich die Beziehung des Unternehmens zu der handelnden Person) hinausgehende, persönliche Verpflichtung besteht, was der Fall ist, wenn die handelnde Person den Tatbestand einer deliktischen Haftungsnorm selbst verwirklicht hat. Ebenso scheint eine persönliche Haftung im Falle der Kenntnis der Fehlerhaftigkeit des Produkts und das Unterlassen des Ergreifens zumutbarer Abhilfemaßnahmen möglich (sog. Haftung aufgrund Garantenstellung). Greift eine persönliche Verantwortung der handelnden Person, so werden mögliche Regressansprüche im Innenverhältnis gegenüber dem Hersteller virulent.
 

Fazit

Die technische Entwicklung ermöglicht dem Hersteller eine Echtzeit-Überwachung, verbunden mit automatisierten Warnsystemen und dadurch eine tatsachengestützte Gefahrenprognose zu erstellen. Erforderliche Abhilfemaßnahmen können bei vernetzten Produkten über die jeweiligen technischen Schnittstellen eingespeist werden. Das führt im Ergebnis tendenziell zu einer Verschiebung der Zumutbarkeitsschwelle zu Lasten der Hersteller bei der Pflicht zur Produktbeobachtung und der sich hieran möglicherweise anschließenden Haftung.

Weiterlesen:    Chibanguza/Schubmann, Die Produktbeobachtungspflicht im Wandel der Digitalisierung und die Haftung der handelnden Personen, GmbHR 2019, 313.

 

  

Dr. Kuuya Josef Chibanguza, LL.B.
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht
Senior Associate
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30175 Hannover
Telefon +49 511 5458 16837
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Dr. Daniel Schubmann
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
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