30.05.2022

Aktuelle Rechtsprechung zur bAV

Aktuelles Urteil des BAG zur Ablösung von Richtlinien einer Unterstützungskasse (BAG 3.5.2022 – 3 AZR 472/21)

Das BAG verzichtet bei Eingriffen in Versorgungsanwartschaften im Falle von steuerbefreiten Berufsverbänden weiterhin auf das im Rahmen der 3-Stufen-Theorie ansonsten geforderte Merkmal der sog. „Proportionalität“. 

 

I. Hintergrund

Die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit dürfen bei Eingriffen in bestehende Versorgungszusagen nicht verletzt werden. Die Gründe, die den Eingriff rechtfertigen sollen, müssen umso gewichtiger sein, je stärker der Besitzstand ist, in den eingegriffen wird (stRspr, vgl. etwa BAG 12.2.2013 – 3 AZR 414/12). Dies ist der Grundsatz der „Proportionalität“. Für Eingriffe in Versorgungsanwartschaften hat das BAG daher ein dreistufiges Prüfungsschema entwickelt (stRspr seit BAG 17.4.1985 – 3 AZR 72/83).

1. Stufe: Bereits erdiente Anwartschaften

Bis zum Änderungsstichtag erdiente und entsprechend § 2 Abs. 1, Abs. 5 Satz 1 Betriebsrentengesetz (BetrAVG) ermittelte Teilbeträge können nur in seltenen Ausnahmefällen und nur aus zwingenden Gründen entzogen werden. 

2. Stufe: Bereits erdiente Dynamik

Zuwächse, die sich insbesondere bei endgehaltsbezogenen Zusagen aus variablen Berechnungsfaktoren ergeben (erdiente Dynamik), können nur aus triftigen Gründen geschmälert werden.

3. Stufe: Noch nicht erdiente dienstzeitabhängige Zuwachsraten

Für Eingriffe in dienstzeitabhängige, noch nicht erdiente Zuwachsraten genügen sachlich-proportionale Gründe (z.B. wirtschaftlich ungünstige Entwicklung des Unternehmens oder Fehlentwicklung der betrieblichen Altersversorgung).

Die Wirkung der Beendigung einer Betriebsvereinbarung über betriebliche Altersversorgung ist anhand dieser Maßstäbe zu überprüfen (BAG 18.9.2001 – 3 AZR 728/00).

 

II. Sachverhalt

Die Beklagte ist als Gewerkschaft ein nichtgewerblich tätiges Dienstleistungsunternehmen. Der übergeordnete Verband wird durch Beiträge der Einzelgewerkschaften finanziert und unterhält eine Gruppenunterstützungskasse.

Der Kläger war bei der Beklagten beschäftigt und wurde bei der Unterstützungskasse angemeldet. Für ihn galten die Unterstützungsrichtlinien 1983 (im Folgenden: UR 83).

Am 14.7.1995 wurde eine Betriebsvereinbarung mit dem Ziel einer Neuregelung der zwischenzeitlich geltenden Versorgungsordnung 1995 geschlossen, die u.a. die Ablösung der UR 83 vorsah. Die Mitgliederzahlen und Beitragseinnahmen der Beklagten entwickelten sich über die Jahre rückläufig, so dass die Beklagte alle bestehenden Vereinbarungen zur betrieblichen Altersversorgung im Jahr 2012 kündigte.

Seit 2017 erhält der Kläger von der Unterstützungskasse eine monatliche Betriebsrente in Höhe von 744,97 EUR. Mit seiner Klage hat der Kläger eine ausschließlich nach den UR 83 berechnete monatliche Betriebsrente in Höhe von 1.394,08 EUR geltend gemacht.

 

III. Entscheidung

Das LAG Düsseldorf hielt die Berufung des Klägers für unbegründet. Es kam zu dem Schluss, dass die UR 83 formell wirksam abgelöst wurden. Es bedurfte keiner Betriebsvereinbarung. Die Ablösung konnte vielmehr auch durch eine einseitige Regelung des Arbeitgebers erfolgen (vgl. auch BAG v. 12.02.2013 - 3 AZR 414/12 - Rn. 46).

Auch in materieller Hinsicht wurden die UR 83 wirksam abgelöst, die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes wurden beachtet. Es konnte aus rein sachlichen Gründen  – hier: wirtschaftlichen Schwierigkeiten – eine Ablösung der in Rede stehenden Versorgungsordnung erfolgen.

Zur Begründung führte das LAG Düsseldorf aus, dass einem nicht am Markt zur Gewinnerzielung tätigen, steuerbefreiten Berufsverband im Wesentlichen nur Beiträge der Mitglieder als Einkünfte zur Verfügung stehen. Darüber hinaus genießen Gewerkschaften den verfassungsrechtlichen Schutz der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG. Damit haben sie die Freiheit, ihre koalitionspolitischen Aufgaben und die Form, die Art und Weise sowie die Intensität der Aufgabenerfüllung festzulegen. Dies führt dazu, dass es den Gerichten für Arbeitssachen grundsätzlich untersagt ist, die Verwendung ihrer Einkünfte im Einzelnen zu überprüfen oder gar zu bewerten. Dies gilt es – so das LAG Düsseldorf –  bei der Anwendung des dreistufigen Prüfungsschemas zu beachten. Wird lediglich in noch nicht erdiente, dienstzeitabhängige Zuwächse eingegriffen, reichen daher rein sachliche Gründe aus. Auf die Proportionalität des Eingriffs kommt es nicht an. Ein Verstoß gegen den betriebsverfassungsrechtlichen oder allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz lag nach Ansicht des LAG Düsseldorf überdies nicht vor.

Das BAG bestätigte diese Entscheidung nunmehr mit seinem Urteil vom 3.5.2022 – 3 AZR 472/21 und wies die Revision des Klägers gegen das Berufungsurteil des LAG Düsseldorf zurück.

 

IV. Fazit

Das BAG verzichtet weiterhin bei Eingriffen in Versorgungsanwartschaften im Falle von Gewerkschaften im Rahmen der 3-Stufen-Theorie darauf, lediglich einen proportionalen Eingriff zuzulassen. Stattdessen lässt das Gericht bei diesen Organisationen grds. eine modifizierte – d. h. erleichterte – Anwendung des von ihm selbst entwickelten Prüfungsmaßstabs bei der Ablösung von Versorgungsordnungen bzw. beim Eingriff in Versorgungsanwartschaften zu. Dies scheint im Hinblick auf die gegenwärtige Entwicklung der Mitgliederzahlen und Beitragseinnahmen von steuerbefreiten Berufsverbänden sachgerecht.

Die Entscheidungsgründe zum Urteil des BAG liegen aktuell noch nicht vor. Sollten sich daraus wesentliche neue rechtliche Inhalte ableiten lassen, informieren wir Sie gerne auf diesem Wege.

Author
Jan Hansen

Jan Hansen
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Sebastian Walthierer