27.06.2016

Arbeitsrecht 2. Ausgabe 2016

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Kabinettsentwurf zur Leiharbeit

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Die amtierende Bundesregierung hatte in ihrem Koalitionsvertrag vom 16. Dezember 2013 grundlegende Überarbeitungen im Bereich der Arbeitnehmerüberlassung angekündigt. In unserem Newsletter Arbeitsrecht (5. Ausgabe 2015) hatten wir bereits zu den beabsichtigten Änderungen auf Grundlage des Referentenentwurfs vom 16. November 2016 berichtet.

Hinsichtlich dieses Referentenentwurfs – erstellt durch das zuständige Bundesministerium für Arbeit und Soziales – hatte die Bundeskanzlerin erklärt, dass sie diesbezüglich auf „konstruktive Gespräche“ hoffe. Diese Gespräche haben mittlerweile stattgefunden. Am 1. Juni 2016 hat das Bundeskabinett den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und anderer Gesetze“ beschlossen.

Der vorliegende Gesetzesentwurf macht deutlich, dass es richtig war, den Referentenentwurf aus dem zuständigen Bundesministerium nicht zu unterschätzen. Denn wesentliche Punkte sind unverändert geblieben. Soweit der Referentenentwurf Vereinbarungen des Koalitionsvertrages umgesetzt hat, sind diese Vorschläge größtenteils auch in den Kabinettsentwurf aufgenommen worden.

I. Vorübergehend heißt zukünftig 18 Monate

Die vorübergehende Überlassung gemäß § 1 AÜG hatte in den vergangenen Jahren für viel Gesprächsstoff gesorgt. Seit dem Referentenentwurf wissen wir, dass vorübergehend zukünftig 18 Monate heißt; der aktuelle Kabinettsentwurf sieht die Einführung einer Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten ebenfalls vor. Dabei soll es künftig entscheidend sein, dass einem Entleiher ein Leiharbeitnehmer – abzustellen ist also auf die Person des Leiharbeitnehmers – zur Verfügung gestellt wird. Eine Veränderung auf der Seite des Verleihers, also eine Änderung des Vertragsarbeitgebers des Leiharbeitnehmers, wird für diese Betrachtung irrelevant sein.

Von dieser Überlassungshöchstdauer abweichende Regelegungen können tarifvertraglich vereinbart werden. Darüber hinaus dürfen nach dem Kabinettsentwurf auch nicht tarifgebundene Arbeitgeber durch Betriebsvereinbarung von der Überlassungshöchstdauer abweichen, wenn sie in den Geltungsbereich eines Tarifvertrages fallen, der eine vom Gesetz abweichende Überlassungshöchstdauer vorsieht. Dies soll nur dann nicht gelten, wenn ein solcher Tarifvertrag für Betriebs­verein­barungen eine Begrenzung der Überlassungshöchstdauer vorsieht.

Dauert der Einsatz eines Leiharbeitnehmers bei einem Entleiher künftig also länger als 18 aufeinander folgende Monate, ist der Einsatz nicht mehr vorübergehend. Auf Grundlage des Kabinettsentwurfs ist zu beachten, dass mehrere, kürzere Einsätze eines Leiharbeitnehmers bei demselben Entleiher grundsätzlich zusammengerechnet werden sollen, soweit zwischen den einzelnen Einsätzen nicht mehr als drei Monate liegen (nach dem Referentenentwurf waren es noch mehr als sechs Monate).

Keine Anwendung findet die Überlassungshöchstdauer grundsätzlich im Rahmen von Entsendungen innerhalb eines Konzerns. Darüber hinaus ist zu beachten, dass die Personalgestellung im öffentlichen Dienst von diesen Regelungen weitestgehend ausgenommen ist.

II. Konsequenz einer länger als 18 Monate dauernden Überlassung

Hinsichtlich der Regelungen bei einer länger als 18 Monate dauernden Überlassung wurden seit dem Referentenentwurf keine Änderungen vorgenommen. Auch nach dem aktuellen Kabinettsentwurf wird die Verletzung der Überlassungshöchstdauer von 18 Monaten in den Katalog der Ordnungswidrigkeiten in § 16 AÜG aufgenommen. Danach muss der Verleiher bei Überschreitung der Überlassungshöchstdauer mit einer Geldbuße von bis € 30.000,00 rechnen.

Weiterhin und insoweit unverändert soll ein Verstoß gegen die Überlassungshöchstgrenze dazu führen, dass künftig ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher fingiert wird. Hierbei soll dem Leiharbeitnehmer allerdings ein einmonatiges Widerspruchrecht zugebilligt werden. Diesbezüglich hat das Bundeskabinett außerdem geregelt, dass eine vor Beginn dieser Widerspruchsfrist abgegebene Erklärung des Leiharbeitnehmers unwirksam sein soll. Allerdings ist es nach diesem Kabinettsentwurf völlig unklar, wann die einmonatige Widerspruchsfrist des Leiharbeitnehmers beginnen soll.

In jedem Falle werden sowohl der Entleiher als auch der Verleiher künftig ganz genau dokumentieren müssen, welcher Leiharbeitnehmer wann zum Einsatz gekommen ist.

III. Der Grundsatz des Equal Treatment und Equal Pay gilt spätestens nach neun Monaten

Der Kabinettsentwurf entspricht hier im Wesentlichen dem Referentenentwurf. Danach soll eine völlige Gleichstellung bezüglich aller Gehaltsbestandteile inkl. vermögenswirksamer Leistungen und Sachbezüge (d.h. Equal Pay) sowie aller Arbeitsbedingungen (d.h. Equal Treatment) nach 9 Monaten erfolgen. Hierbei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass eine Abweichung für einen Zeitraum von neun Monaten ausschließlich auf Grundlage eines Tarifvertrages möglich ist.

Darüber hinaus sind tarifvertragliche Abweichungen – nur hinsichtlich des Equal Pay – für die Dauer von maximal 15 Monaten zulässig (der Referentenentwurf sah hier eine Dauer von maximal 12 Monaten vor). Diese Ausnahme soll nach wie vor nur bei (Branchen-) Zuschlagstarifverträgen mit sechswöchiger Einarbeitungsphase möglich sein.

Ungeachtet dessen werden hier, wie bei der Höchstüberlassungsdauer auch, mehrere Kurzeinsätze eines Leiharbeitnehmers bei demselben Entleiher zusammengerechnet, wenn „zwischen den Einsätzen jeweils nicht mehr als drei Monate liegen“.

IV. Leiharbeitnehmer keine Streikbrecher mehr

Aus verfassungsrechtlicher Sicht interessant bleibt das beabsichtigte Verbot des Einsatzes von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher. Zwar wurde der Referentenentwurf, wie es viele Juristen gefordert hatten, deutlich überarbeitet. Wirklich besser ist der Kabinettsentwurf an dieser Stelle jedoch nicht.

Nach dem Kabinettsentwurf soll der Einsatz von Leiharbeitnehmern in einem vom Arbeitskampf betroffenen Betrieb grundsätzlich ausgeschlossen sein. Dieser Grundsatz soll nur dann nicht gelten, wenn der Entleiher den Leiharbeitnehmer nicht mit Tätigkeiten von Arbeitnehmern betraut, „die sich im Arbeitskampf befinden oder ihrerseits Tätigkeiten von Arbeitnehmern, die sich im Arbeitskampf befinden, übernommen haben“ (sog. Ringtausch).

Darüber hinaus soll der Leiharbeitnehmer nach dem Kabinettsentwurf auch das Recht haben, die Arbeitsleistung in einem bestreikten Betrieb eines Entleihers zu verweigern. In diesem Fall soll der Verleiher verpflichtet sein, den Leiharbeitnehmer auf sein Recht zur Arbeitsverweigerung hinzuweisen.

Zwar hat das Bundeskabinett bezüglich des Einsatzes von Leiharbeitnehmern als Streikbrecher nachjustiert und den Einsatz ausdrücklich nur noch für die beiden Fälle der unmittelbaren Vertretung (d.h. Leiharbeitnehmer wird unmittelbar mit den Tätigkeiten eines streikenden Arbeitnehmers betraut) und des Ringtauschs (d.h. dem Leiharbeitnehmer werden Tätigkeiten eines nicht streikenden Arbeitnehmers zugewiesen, der wiederum die Tätigkeiten eines streikenden Arbeitnehmers übernommen hat) ausgeschlossen. Doch können sich hier in der Praxis erhebliche Probleme für Entleiher ergeben; dies insbesondere dann, wenn einzelne Tätigkeitsbereiche nicht genau definiert sind, keine exakten Stellenbeschreibungen existieren oder Arbeitnehmer als Springer in verschiedenen Bereichen oder Abteilungen tätig sind.

Für Verleiher von besonderer Bedeutung ist das neu geschaffene Recht auf Arbeitsverweigerung. Hierdurch wird der Verleiher in einen Arbeitskampf hineingezogen, mit dem er nichts zu tun hat. Welche Konsequenzen – bspw. hinsichtlich der Vergütungspflicht gegenüber dem Leiharbeitnehmer oder der durch einen Verleiher aufgrund eigener tarifvertraglicher Bindung zu berücksichtigende Friedenspflicht – dies letztlich für den Verleiher hat, zeigt der Kabinettsentwurf nicht auf.

Danach ist auch der jetzige Kabinettsentwurf unserer Einschätzung nach überarbeitungsbedürftig. Ungeachtet dessen bleibt es aus Sicht sowohl der Entleiher als auch der Verleiher abzuwarten, inwieweit die durch das Bundeskabinett beschlossenen Regelungen – angenommen, diese werden Gesetz – verfassungskonform sind.

V. Leiharbeitnehmer zählen überall und immer mit

Entsprechend des Referentenentwurfs sieht auch der Kabinettsentwurf eine generalisierende Regelung vor, nach welcher Leiharbeitnehmer in allen einschlägigen Gesetzen (namentlich: BetrVG, Montan-MitbestG, MitbestG, DrittelbG, MgVG, EBRG, SEBG und SCEBG) sowie aufgrund dieser Gesetze erlassenen Wahlordnungen sowohl im Entleiherbetrieb als auch im Entleiherunternehmen mitzuzählen sind, wenn diese eine bestimmte Anzahl oder einen bestimmten Anteil von Arbeitnehmern voraussetzen.

Darüber hinaus stellt der Kabinettsentwurf nunmehr klar, dass Leiharbeitnehmer nur dann mitzuzählen sind, wenn die Einsatzdauer sechs Monate übersteigt.

VI. Die Pflicht zur ordnungsgemäßen Etikettierung der Arbeitnehmerüberlassung bleibt

In den Kabinettsentwurf ebenfalls übernommen wurde die Pflicht zur ordnungsgemäßen Etikettierung der Arbeit­neh­merüberlassung. Danach müssen in dem Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher die Arbeitnehmerüberlassung als solche sowie der konkrete Leiharbeitnehmer ausdrücklich bezeichnet werden. Dies ist eine für das deutsche Vertragsrecht einmalige Situation. Denn zukünftig werden Vertragsparteien eines (vermeintlichen) Werkvertrags – die Abgrenzung zwischen Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung kann in der Praxis sehr schwierig sein – sicherheitshalber immer Arbeitnehmerüberlassung auf den Vertrag schreiben müssen. Dies selbst dann, wenn es sich nach dem Verständnis der Parteien um einen Werkvertrag handelt.
Fehlt es an dieser Etikettierung und stellt ein Gericht fest, dass es sich eigentlich um Arbeitnehmerüberlassung gehandelt hat, führt dies nach dem Kabinettsentwurf zur Unwirksamkeit des Arbeitsvertrages zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Verleiher. Dementsprechend wird auch hier – es sei denn, der Leiharbeitnehmer widerspricht innerhalb eines Monats – ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher fingiert. Zudem müssen sowohl Verleiher als auch Entleiher mit einer Geldbuße von bis zu € 30.000,- rechnen.
Es bleibt zu hoffen, dass diese Regelung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens noch geändert wird.

VII. Vermutungsregelung für den Arbeitsvertrag wurde entschärft

Der ursprüngliche Referentenentwurf war auch in einem weiteren Bereich überarbeitungsbedürftig. Denn der Versuch der Bundesarbeitsministerin, mit dem neuen § 611a BGB eine Vermutungsregelung für das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zu schaffen, war gescheitert. Nach dem nun vorliegenden Kabinettsentwurf enthält der neue § 611a BGB lediglich noch eine allgemeine Definition des Arbeitnehmerbegriffs. Die in den Kabinettsentwurf aufgenommene Definition entspricht dabei gänzlich der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Zudem wird in der Gesetzesbegründung klargestellt, dass Rechts­vorschriften, die „eine abweichende Definition des Arbeit­nehmers, des Arbeitsvertrages oder des Arbeitsverhältnisses vorsehen“, von dem neuen § 611a BGB unberührt bleiben.

VIII. „Klarstellung“ des Unterrichtungsrechts des Betriebsrats

Letztlich will der Gesetzgeber in § 80 Abs. 2 BetrVG klarstellen, welche Informationen dem Betriebsrat zur Verfügung zu stellen sind, um eigenständig die Prüfung zur Abgrenzung zwischen Werkvertrag und Arbeitnehmerüberlassung bei dem Einsatz von Fremdpersonal vornehmen zu können. Bereits gesetzlich verankert ist, dass das Unterrichtungsrecht des Betriebsrates auch den Einsatz solcher Personen umfasst, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Arbeitgeber stehen; gemeint ist das Fremdpersonal. Diesbezüglich will der Gesetzgeber künftig klarstellen, dass zu den – dem Betriebsrat zur Verfügung zu stellenden – erforderlichen Unterlagen auch die Verträge gehören, „die der Beschäftigung der in § 80 Abs. 2 S. 1 genannten Personen [Anm.: das Fremdpersonal] zugrunde liegen.“

In der Gesetzbegründung wird nicht erklärt, was genau denn die Verträge sein sollen, die der Beschäftigung von Fremdpersonal zugrunde liegen. Es wird lediglich darauf hingewiesen, dass dieses Unterrichtungsrecht bei dem kurzfristigen Fremdpersonaleinsatz (bspw. der mit einer Reparatur beauftragte Handwerker) nicht bestehen soll.

Für die betriebliche Praxis sind Probleme – sollte dieser Wortlaut unverändert Gesetz werden – bereits vorprogrammiert. Denn der Wortlaut der vorgesehenen Norm lässt durchaus den Schluss zu, dass es sich bei den der Beschäftigung zugrunde liegenden Verträgen um die Arbeitsverträge des Fremdpersonals handelt. Bei dem nicht nur kurzfristigen Einsatz von Fremdpersonal (bspw. der 6-monatige Einsatz von Wirtschaftsprüfern auf dem Betriebsgelände oder bei dem länger andauernden Bau einer neuen Werkshalle oder eines Verwaltungsgebäudes) werden die Betriebsräte zukünftig ein Einsichtsrecht in die Arbeitsverträge des Fremdpersonals fordern.

Die von dem Gesetzgeber angestrebte Klarstellung des § 80 Abs. 2 BetrVG ist mit Blick auf den jetzigen Wortlaut missglückt. Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens sollte daher auch an dieser Stelle nachjustiert werden. Eine Lösung könnte bspw. sein, wenn zu den erforderlichen Unterlagen lediglich Werk- und Arbeitnehmerüberlassungsverträge gehören, die dem Einsatz der in § 80 Abs. 2 S. 1 genannten Personen zugrunde liegen.

Paul Schreiner
Partner
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Essen
Telefon +49 201 9220 11691
paul.schreiner@luther-lawfirm.com

 

Klaus Thönißen, LL.M. (San Francisco)
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Essen
Telefon +49 201 9220 24659
klaus.thoenissen@luther-lawfirm.com

 

Diskriminierung durch das Kopftuchverbot in Unternehmen

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Der EuGH befasst sich derzeit mit der Frage, ob ein Kopftuchverbot im Unternehmen eine Diskriminierung darstellt. Die EuGH-Generalanwältin hält ein Verbot grundsätzlich für zulässig. Das Urteil des EuGH steht noch aus.

Die Frage, ob ein Kopftuchverbot am Arbeitsplatz eine Diskriminierung wegen der Religion darstellt, wird viel diskutiert. Die Gerichte waren in der Vergangenheit in diversen Fällen mit dieser Frage konfrontiert.

Rechtsprechung zum Kopftuchverbot des BAG und BVerfG

Im Jahr 2002 hat das BAG entschieden, dass ein Kopftuch während der Arbeit bei einem privaten Arbeitgeber grundsätzlich getragen werden darf (Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 AZR 472/01). Hintergrund war die Kündigungsschutzklage einer in der Türkei geborenen Verkäuferin. Nach Beendigung einer Elternzeit teilte die Klägerin ihrem Arbeitgeber, der ein Kaufhaus betreibt, mit, sie werde zukünftig bei der Arbeit ein Kopftuch tragen. Der Arbeitgeber untersagte dies, weil er wirtschaftliche Schäden durch Kundenverluste befürchtete. Nachdem die Klägerin daran festhielt, ein Kopftuch zu tragen, kündigte ihr der Arbeitgeber. Das BAG hielt die Kündigung für unwirksam. Die Religionsfreiheit gehe regelmäßig der Unternehmerfreiheit vor, was auch für publikumsrelevante Bereiche wie den Verkauf gelte. Der Arbeitgeber müsse gegebenenfalls nachweisen, dass es auf Grund des Kopftuchs zur Störung betrieblicher Abläufe oder gar zu wirtschaftlichen Einbußen komme. Das durch ein Verbot des Tragens eines Kopftuchs unmittelbar betroffene Grundrecht der Arbeitnehmerin dürfe nicht auf eine bloße Vermutung des Arbeitgebers hin zurückstehen.

Anders wird die Situation im öffentlichen Schul- und Erziehungsdienst beurteilt. Nach einem Grundsatzurteil des BVerfG aus 2003 dürfen Landesgesetze der Bundesländer zur Sicherung der staatlichen Neutralität teilweise das Tragen von religiösen Symbolen im Dienst untersagen (Urteil vom 24. September 2003 – 2 BvR 1436/02). Die Religionsfreiheit soll danach grundsätzlich hinter dem Gebot der staatlichen Neutralität zurückstehen können.

Hierzu hatte das BAG im Jahr 2009 den Fall zu entscheiden, in dem eine Lehrerin türkischer Abstammung vom Land Nordrhein-Westfalen gekündigt wurde, weil sie sich auch nach Ausspruch einer Abmahnung weigerte, ihren Unterricht ohne Kopftuch zu geben (Urteil vom 10. Dezember 2009 – 2 AZR 55/09). Das Land Nordrhein-Westfalen berief sich im Kündigungsschutzverfahren auf § 57 Abs. 4 SchulG NRW, der Lehrern verbietet, in der Schule politische, religiöse, weltanschauliche oder ähnliche äußere Bekundungen abzugeben, die geeignet sind, die Neutralität gegenüber Schülern oder dem politischen, religiösen oder weltanschaulichen Schulfrieden zu gefährden oder zu stören. Das Tragen eines Kopftuchs sei aus Sicht des Landes Nordrhein-Westfalen eine religiöse Bekundung im Sinne des SchulG NRW. Das BAG bestätigte die Wirksamkeit der Kündigung, weil die klagende Lehrerin gegen das in § 57 Abs. 4 SchulG NRW normierte Neutralitätsgebot verstoßen habe. Das Neutralitätsverbot soll einer abstrakten Gefahr vorbeugen. Der Landesgesetzgeber habe ersichtlich darauf Bedacht genommen, dass die Schule ein Ort ist, an dem unterschiedliche politische und religiöse Auffassungen unausweichlich aufeinandertreffen, deren friedliches Nebeneinander der Staat zu garantieren hat. Die Regelung des § 57 Abs. 4 SchulG NRW verstoße auch nicht gegen höherrangiges Recht. Der Landesgesetzgeber durfte die positive Glaubens­freiheit und die Berufsausübungsfreiheit eines pädagogischen Mitarbeiters hinter die staatliche Pflicht zur weltanschaulichen Neutralität, das Erziehungsrecht der Eltern und die negative Glaubensfreiheit der Schüler zurücktreten lassen, um die Neutralität der Schule und den Schulfrieden zu sichern. Dabei sei es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die landesgesetzliche Regelung religiöse Bekundungen von Lehrern in öffentlichen Schulen ohne Rücksicht auf die Umstände des Einzelfalls und konkrete Gefahren untersagt.

Das Bundesverfassungsgericht hatte sich auf eine Verfas­sungsbeschwerde im vergangenen Jahr mit der Frage zu befassen, ob das pauschale gesetzliche Verbot religiöser Bekundungen nach § 57 Abs. 4 SchulG NRW mit dem Grundgesetz zu vereinbaren ist (Beschluss vom 27. Januar 2015 – 1 BvR 471/10). Dabei vertrat das Bundes­verfassungs­gericht die Auffassung, dass ein gesetzliches Verbot religiöser Bekundungen durch das äußere Erscheinungsbild schon wegen der bloß abstrakten Eignung zur Begründung einer Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität in einer öffentlichen bekenntnisoffenen Gemeinschaftsschule unverhältnismäßig sei, wenn das Erscheinungsbild nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist. Ein Verbot sei verfassungskonform dahingehend einzuschränken, dass nur eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität den mit einem Verbot verbundenen Eingriff in die Religionsfreiheit rechtfertigen könne. Das Bundesverfas­sungsgericht betonte zusätzlich, dass gesetzliche Untersagungen von religiösen Bekundungen zur Wahrung des Schulfrieden und der staatlichen Neutralität für alle Glaubens- und Weltanschauungsrichtungen unterschiedslos erfolgen müssen.

Empfehlung der EuGH-Generalanwältin

Der EuGH beschäftigt sich aktuell mit dem Fall einer Rezeptionistin, die bei einem belgischen Bewachungs- und Sicherheitsdienst beschäftigt war. Sie ist muslimischen Glaubens und bestand nach dreijähriger Tätigkeit für den Beklagten erstmals darauf, zukünftig mit einem Kopftuch zur Arbeit zu erscheinen. Obwohl der Beklagte vertrat, dass bei ihm das Tragen sichtbarer religiöser, politischer und philosophischer Zeichen verboten sei, trug die Klägerin das Kopftuch als Zeichen des islamischen Glaubens. Darauf kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis. Die Klägerin erhob Klage auf Schadensersatz. Nachdem die ersten beiden Instanzen die Klage abgewiesen haben, zog die Klägerin vor den belgischen Kassationshof. Dieser bat den EuGH um Konkretisierung des unionsrechtlichen Verbots der Diskriminierung wegen der Religion oder Weltanschauung.

Die Generalanwältin des EuGH, Juliane Kokott, hat am 31. Mai 2016 in ihrem Schlussantrag vertreten, dass ein allgemeines Kopftuchverbot in Unternehmen grundsätzlich zulässig sei (C-157/15). Ein Kopftuchverbot stelle grundsätzlich keine unzulässige Diskriminierung dar. Eine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion liege nicht vor, wenn eine Arbeitnehmerin muslimischen Glaubens verboten werde, ein islamisches Kopftuch am Arbeitsplatz zu tragen, sofern sich dieses Verbot auf eine allgemeine Betriebsregelung zur Untersagung sichtbarer politischer, philosophischer und religiöser Zeichen am Arbeitsplatz stütze und nicht auf Stereotypen oder Vorurteilen gegenüber einer oder mehreren bestimmten Religionen oder gegenüber religiösen Überzeugungen im Allgemeinen beruhe. Eine weniger günstige Behandlung wegen der Religion liege in einem solchen Fall gerade nicht vor. Das Verbot, ein muslimisches Kopftuch zu tragen, könne jedoch eine mittelbare Beeinträchtigung von Arbeitnehmerinnen muslimischen Glaubens darstellen. Faktisch betreffe eine solche Regelung in besonderem Maße Angehörige dieser Religion. Eine solche mittelbare Diskriminierung könne gerechtfertigt sein, um vom Arbeitgeber verfolgte Neutralitätsbestrebungen hinsichtlich der Religion und Weltanschauung durchzusetzen, wenn hierbei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werde. Die im konkreten Fall verfolgte Neutralitätspolitik gehe nicht über die Grenzen des unternehmerischen Beurteilungsspielraums hinaus. Wegen der Kundenvielfalt und der besonderen Art der von der Belegschaft ausgeübten Tätigkeiten dränge sich das Neutralitätsbegehren des Arbeitgebers vorliegend auf.

Es obliegt im Ergebnis dem belgischen Kassationshof als nationalem Gericht, die widerstreitenden Interessen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls zu einem gerechten Ausgleich zu bringen. Gleichwohl betont die Generalanwältin, dass nach ihrer Auffassung grundsätzlich kein Zweifel daran bestehen könne, dass das vorliegende streitige Verbot verhältnismäßig und geeignet ist, das legitime Ziel der religiösen und weltanschaulichen Neutralität zu erreichen. Auch sei das Verbot erforderlich, um diese legitime Neutralitätspolitik durchzusetzen. Weniger einschneidende und dennoch gleich geeignete Möglichkeiten zur Verwirklichung der Neutralitätsbestrebungen sieht die Generalanwältin nicht. Sie betont, dass die Religion für viele Menschen ein wichtiger Teil ihrer persönlichen Identität sei. Während aber ein Arbeitnehmer sein Geschlecht, seine Hautfarbe, seine ethnische Herkunft, seine sexuelle Ausrichtung, sein Alter oder seine Behinderung nicht „an der Garderobe abgeben“ könne, sobald er die Räumlichkeiten seines Arbeitgebers betrete, könne ihm bezüglich seiner Religionsausübung am Arbeitsplatz eine gewisse Zurückhaltung zugemutet werden, sei es hinsichtlich religiöser Praktiken, religiös motivierter Verhaltensweisen oder – wie vorliegend – hinsichtlich seiner Bekleidung. Dabei sei das Maß an Zurückhaltung, das einem Arbeitnehmer abverlangt werden könne, von einer Gesamtbetrachtung aller relevanten Umstände des jeweiligen Einzelfalls abhängig.

Die Entscheidung des EuGH steht noch aus. Wenngleich der EuGH an den Schlussantrag der Generalanwälte nicht gebunden ist, folgt er häufig deren Empfehlungen. Die Entscheidung des EuGH wird Erhellung in die Auslegung des unionsrechtlichen Diskriminierungsverbots bringen. Abzuwarten bleibt, ob die Entscheidung des EuGH auch zu einer Vereinheitlichung der von den deutschen Gerichten bisher sehr unterschiedlich beurteilten Frage der Diskriminierung durch ein Kopftuchverbot führen wird. Da die nationalen Gerichte bei der Umsetzung der Entscheidungen des EuGH einen Beurteilungsspielraum haben, ist das Interesse an den folgenden Entscheidungen deutscher Gerichte hierzu hoch.

Sandra Sfinis
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg
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sandra.sfinis@luther-lawfirm.com

Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohns durch Jahressonderzahlungen

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BAG, Urteil vom 25. Mai 2016 - 5 AZR 135/16

Die Anrechnung von monatlich gezahlten Sonderzahlungen und Lohnzuschlägen auf den gesetzlichen Mindestlohn ist möglich, wenn die Sonderzahlungen Arbeitsentgelt darstellen.

Der Fall

Die Klägerin war seit 1992 bei der Beklagten, einer Klinik-Servicegesellschaft, als Mitarbeiterin in einer Cafeteria in Vollzeit beschäftigt. Sie erhielt nach ihrem Arbeitsvertrag ein monatliches Grundgehalt, das weniger als 8,50 € brutto pro Stunde betrug. Daneben sah der Arbeitsvertrag besondere Lohnzuschläge für Sonn- und Feiertage, Nachtarbeit sowie Urlaubs- und Weihnachtsgeld in Höhe von 50 % eines Bruttomonatsgehalts vor. Die Auszahlung des Urlaubs- bzw. Weihnachtsgeldes hatte dabei zweimal im Jahr mit dem üblichen Gehaltslauf zu erfolgen.

Im Dezember 2014 schloss die Beklagte mit dem zuständigen Betriebsrat eine Betriebsvereinbarung über die Fälligkeit des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes. Die Vereinbarung sah vor, dass diese Sonderzahlungen nunmehr in zwölf gleichen Teilen mit dem Monatsgehalt auszuzahlen wären.

Ab Januar 2015 zahlte die Beklagte daraufhin, neben dem üblichen Monatsgrundgehalt zzgl. Lohnzuschlägen, je 1/12 des Urlaubs- und des Weihnachtsgeldes. Die Lohnzuschläge wurden dabei weiter auf der Grundlage des arbeitsvertraglich vereinbarten Stundenlohnes berechnet.

Die Klägerin machte auf dem Klagewege geltend, ihr Monatsgehalt, die Jahressonderzahlungen wie auch die arbeitsvertraglich zugesagten Lohnzuschläge seien auf der Basis des gesetzlichen Mindestlohnes in Höhe von 8,50 € zu berechnen. Sie vertrat die Ansicht, dass die anteilige Auszahlung der Jahres-sonderzahlungen unwirksam sei. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich ihr monatliches Gehalt ohne die anteilige Sonderzahlung unter dem gesetzlichen Mindestlohn bewege. Das ArbG hat die Klage abgewiesen, Das LAG Berlin-Brandenburg gab der Klägerin in Bezug auf die Nachtarbeitszuschläge recht, diese seien auf der Basis des gesetzlichen Mindestlohnes zu berechnen. Im Übrigen wies das LAG die Klage ebenfalls ab. Hiergegen wendet sich die Revision der Klägerin.

Die Entscheidung

Das BAG wies die Revision als unbegründet zurück und hat damit die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt. Dabei stellt das BAG zunächst klar, dass der Arbeitgeber den gesetzlichen Mindestlohn für jede tatsächlich geleistete Arbeitsstunde schuldet. Gleichwohl habe die Klägerin aufgrund des Mindestlohngesetztes weder einen Anspruch auf ein erhöhtes Monatsgehalt noch auf erhöhte Jahressonderzahlungen oder erhöhte Lohnzuschläge. Es begründet seine Entscheidung damit, dass die Beklagte durch die ratierliche Auszahlung des Weihnachts- und Urlaubsgeldes den Mindestlohnanspruch der Klägerin erfüllt habe.

Das BAG führt im Hinblick auf den gesetzlichen Mindestlohnanspruch zunächst aus, dass dieser als eigenständiger Anspruch neben die Ansprüche auf Monatsgehalt, Jahressonderzahlungen und Lohnzuschläge trete, diese jedoch nicht verändere.

Es führt weiter aus, dass der gesetzliche Mindestlohnanspruch durch all diejenigen Entgeltzahlungen des Arbeitgebers erfüllt werden könne, die dieser als Gegenleistung für die Arbeit des Arbeitnehmers erbringen würde und die dem Arbeitnehmer endgültig verblieben.

Das BAG vertritt, wie auch schon das LAG, die Auffassung, dass hierbei auch Sonderzahlungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld Erfüllungswirkung zukommen könne. Voraussetzung sei, dass die Zahlungen vorbehaltlos und unwiderruflich als Gegenleistung für die Arbeit des Arbeitnehmers erfolgen würden. Bei den durch die Beklagte geleisteten Sonderzahlungen handele es sich um eine solche Gegenleistung. Das BAG begründet seine Entscheidung damit, dass die Jahressonderzahlungen vorbehaltlos und unwiderruflich für jeden Kalendermonat zu 1/12 an den Arbeitnehmer ausgezahlt würden.

Unabhängig davon stellt das BAG gleichzeitig klar, dass nicht jede Entgeltzahlung anrechenbar ist. Leistungen des Arbeitgebers, die ohne Rücksicht auf die tatsächliche Arbeitsleitung erbracht oder auf einer besonderen gesetzlichen Zweckbestimmung (z.B. § 6 Abs. 5 ArbZG) beruhen würden, könnten nicht auf den Mindestlohnanspruch angerechnet werden.

Unser Kommentar

Es handelt sich hierbei um die erste höchstrichterliche Entscheidung zum Mindestlohngesetz im außertariflichen Bereich, welche zum jetzigen Zeitpunkt allein als Pressemitteilung veröffentlicht ist. Das BAG hatte bis jetzt lediglich zum tariflichen Mindestlohn entscheiden müssen und dazu festgestellt, dass dieser auch bei Krankheit und Urlaubsabgeltung gelte (Urteil vom 13. Mai 2015 – Az. 10 AZR 191/14).

Das BAG setzt mit der Entscheidung ein deutliches Zeichen in Richtung Anrechenbarkeit von Entgeltzahlungen auf das Gehalt des Arbeitnehmers und dürfte etwas mehr Klarheit im Umgang mit dem Mindestlohngesetz bringen.

So lässt sich bereits jetzt mit hinreichender Sicherheit folgern, dass eine Anrechnung solcher Sonderzahlungen zulässig sein dürfte, die der Arbeitgeber als Entgelt für die Arbeitsleistung monatlich mit dem Gehalt an den Arbeitnehmer ausbezahlt. Ob der Arbeitgeber die Zahlungen dabei als Zuschlag, Urlaubs- oder Weihnachtsgeld bezeichnet, ist für die Anrechenbarkeit unerheblich.

Zu beachten ist aber, dass das BAG gerade nicht die Anrechnung jeglicher Sonderzahlungen für zulässig erachten möchte. Es hat in der Entscheidung klar zum Ausdruck gebracht, dass es eine Anrechnung nur unter zwei Voraussetzungen für zulässig erachtet:

  1. Es muss sich bei dem Entgelt um eine Gegenleistung für Arbeit handeln.
  2. Das Entgelt muss vorbehaltlos und unwiderruflich gezahlt werden.

Die Anrechnung erfolgsabhängiger Gratifikationen scheidet daher ebenso aus wie Zahlungen, die vom Bestand des Arbeitsverhältnisses abhängig gemacht werden. Aus diesem Grund wird im Einzelfall zu prüfen sein, ob die Anrechnung von jährlichen Sonderzahlungen und jährlich gezahltem Weihnachts- oder Urlaubsgeld zulässig ist.

Auch wenn das Urteil ein klares Zeichen für die Möglichkeit der Anrechnung ist, bleiben weiterhin viele Unklarheiten im Umgang mit den gesetzlichen Regelungen. So ist beispielsweise weiterhin unklar, ob die für den tariflichen Mindestlohn aufgestellten Grundsätze (Fortzahlung von Mindestlohn an Feiertagen und während einer Arbeitsunfähigkeit) auch auf den außertariflichen Bereich anzuwenden sind. Es bleibt daher abzuwarten, wie sich die Rechtsprechung in Zukunft entwickeln wird.  

Nina Stephan
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Essen
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Betriebsrat hat keinen Anspruch auf separaten Internet- oder Telefonanschluss

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BAG, Beschluss vom 20. April 2016 – 7 ABR 50/14

Der Fall

Die Parteien streiten über die Bereitstellung eines separaten Telefon- und Internetanschlusses sowie um die Möglichkeit eines unbegrenzten Internetzugangs für den Betriebsrat.

Der Arbeitgeber gehört zu einem Konzern, in welchem in den Konzerngesellschaften Telefonanlagen verwendet werden, die so eingestellt werden können, dass die Verkehrsdaten mit vollständigen Zielnummern gespeichert und personenbezogen ausgewertet werden können. Die einzelnen Anlagen können gekoppelt und zentral konfiguriert und verwaltet werden. Zusätzlich steht dem Betriebsrat ein mobiles Telefongerät zur Verfügung. Der Betriebsrat ist mit einem PC und Laptop ausgestattet, die beide über dasselbe Passwort laufen. Der Internetzugang ist dem Betriebsrat zugeordnet. Der Internetzugang wird konzernweit über einen Proxyserver des Konzerns vermittelt. Von dort aus kann der Zugang verwaltet und überwacht werden. Es ist möglich, User- und zumindest IP-Adressen sowie alle URLs der Browserzugriffe zu protokollieren und personenbezogen auszuwerten. Administratoren ist es möglich, Emailpostspeicher sowie auch gelöschte Emails aufgrund von Backups zu lesen. Vom Arbeitgeber werden Emailfilter eingesetzt, um Spam dem Fach Junkmail zuzuordnen sowie Filter, die den Zugriff auf unerwünschte Homepages zu vermeiden. Der Betriebsrat konnte daher nicht  auf die Seiten von „youtube“ und „eRecht24“ zugreifen. Der Betriebsrat beantragte im Beschlussverfahren den Arbeitgeber zu verpflichten ihm einen separaten Telefonanschluss zur unkontrollierten Nutzung zur Verfügung zu stellen und einen eigenen Internetzugang einzurichten, der nicht über den Proxyserver des Arbeitgebers bzw. des Konzerns vermittelt wird und dem Betriebsrat einen uneingeschränkt und unkontrollierten Internetzugang ermöglicht. Das ArbG und LAG wiesen die Anträge des Betriebsrats zurück. Zur Begründung verwies das LAG insbesondere darauf, dass es ausreichend sei, dass der Betriebsrat vom Arbeitgeber verlangen könne, die entsprechenden Aufzeichnungen der Verkehrsdaten zu unterdrücken und jegliche Auswertung zu verbieten. Durch einen separaten Internetzugang entstehe zudem eine nicht notwendige Sicherheitslücke.

Die Entscheidung

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats blieb erfolglos. Das BAG bestätigte die Auffassung der Vorinstanzen, dass der Arbeitgeber grundsätzlich weder dazu verpflichtet ist dem Betriebsrat unabhängig von seinem Netzwerk einen Zugang zum Internet zur Verfügung zu stellen noch für den Betriebsrat einen von seiner Telefonanlage unabhängigen Telefonanschluss errichten muss.
Der Arbeitgeber ist nach § 40 Abs. 2 BetrVG verpflichtet dem Betriebsrat in erforderlichem Umfang unter anderem Informations- und Kommunikationstechnik zur Verfügung stellen. Stehen berechtigte Belange des Arbeitgebers nicht entgegen, kann der Betriebsrat einen Telefonanschluss, die Eröffnung eines Internetzugangs und die Einrichtung eigener Email-Adressen verlangen, ohne deren Erforderlichkeit zur Wahrnehmung konkret anstehender betriebsverfassungsrechtlicher Aufgaben darlegen zu müssen. Diese Ansprüche können vom Arbeitgeber erfüllt werden, indem er dem Betriebsrat im Rahmen des im Betrieb bestehenden Informations- und Kommunikationssystem einen Telefonanschluss zur Verfügung stellt sowie einen Internetzugang und Email-Verkehr über ein Netzwerk vermittelt, welches für alle Arbeitsplätze des Unternehmens einheitlich genutzt wird. Der Betriebsrat darf einen separaten Telefonanschluss sowie Internetzugang allein wegen der abstrakten Gefahr einer missbräuchlichen Ausnutzung der technischen Kontrollmöglichkeiten durch den Arbeitgeber nicht für erforderlich halten.

Unser Kommentar

Die in der jüngeren Vergangenheit ergangenen arbeitsgerichtlichen Entscheidungen räumten dem Betriebsrat hinsichtlich Art und Umfang des Sachmittelanspruchs einen eher großzügigen Beurteilungsspielraum ein. Das BAG entschied nun erfreulicherweise gegenläufig zu dieser instanzgerichtlichen Rechtsprechung. Ob für die Entscheidung des BAG ausschlaggebend war, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat im vorliegenden Fall den Abschluss einer Betriebsvereinbarung angeboten hat, welche die mögliche Überwachung unterbinden sollte, lässt sich der Entscheidung des BAG, die bisher nur als Pressemitteilung vorliegt, nicht entnehmen. 

Dr. Anna Schnitzer
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Hamburg
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anna.schnitzer@luther-lawfirm.com

 

(Un-)Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats beim Einsatz von Überwach­ungskameras

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BAG, Beschluss vom 26. Januar 2016 – 1 ABR 68/13

Bei der Anwendung eines Videoüberwachungssystems hat der Konzernbetriebsrat nicht mitzubestimmen, wenn es ausschließlich von einem konzernangehörigen Unternehmen betrieben wird und kein unternehmensübergreifender Datenaustausch erfolgt.

Der Fall

Die Beteiligten streiten über die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats beim Einsatz von Überwachungskameras. Die antragstellende Arbeitgeberin ist die Konzernobergesellschaft eines Krankenhauskonzerns. Bei ihr ist der am Verfahren beteiligte Konzernbetriebsrat errichtet.

In einem Klinikum, das von einer hundertprozentigen Tochtergesellschaft der Antragstellerin betrieben wird, ist ein Videoüberwachungssystem mit verschiedenen Kameras und Monitoren installiert. Teilweise werden die Aufnahmen ohne Spei­cherung der Bilder auf Monitoren wiedergegeben, teilweise werden die Bilder an einen zentralen Schaltschrank übermittelt und von Mitarbeitern der Tochtergesellschaft, bei der das Videoüberwachungssystem eingesetzt wird, weiterverarbeitet.

Von den Kameras werden auch Arbeitnehmer anderer Konzernunternehmen erfasst, die im Klinikum Werk- oder Dienstleistungen für ihren jeweiligen Vertragsarbeitgeber erbringen. Zwischen der Antragstellerin und dem Konzernbetriebsrat war eine Einigungsstelle zur Regelung der Verwendung arbeitnehmerbezogener Daten durch die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien errichtet. Diese Einigungsstelle bejahte ihre Zuständigkeit für eine Regelung über den Einsatz der auf dem Klinikgelände installierten Kameras und Monitore. Die antragstellende Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, der Konzernbetriebsrat sei für die Ausübung des Beteiligungsrechts nicht zuständig.

Das ArbG Berlin hat dem Antrag der antragstellenden Arbeitgeberin entsprochen. Das LAG Berlin-Brandenburg wies den Antrag auf die Rechtsbeschwerde des Konzernbetriebsrats zurück. Mit der Rechtsbeschwerde begehrte die Antragstellerin nun­mehr die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Beschlusses.

Die Entscheidung

Mit seinem Beschluss hob das BAG auf die Rechts­beschwer­de der antragstellenden Arbeitgeberin den Beschluss des LAG auf.

Zur Begründung führte es an, dass der Konzernbetriebsrat für die Anwendung der im Klinikum installierten Kameras und Monitore nicht zuständig sei. Nach der Kompetenzzuweisung des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) sei für die Wahrnehmung von Mitbestimmungsrechten grundsätzlich der von den Arbeitnehmern unmittelbar durch Wahl legitimierte Betriebsrat zuständig. Dieser habe in erster Linie die Interessen der Belegschaften der einzelnen Betriebe gegenüber dem Unternehmer wahrzunehmen. Diese Aufgabe werde gemäß § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG dem Gesamtbetriebsrat sowie gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 BetrVG dem Konzernbetriebsrat nur für den Fall zugewiesen, dass die zu regelnde Angelegenheit nicht auf den einzelnen Betrieb oder das konzernangehörige Unternehmen beschränkt ist und deshalb die Interessen der Arbeitnehmer nicht mehr auf der betrieblichen Ebene bzw. der des Unternehmens gewahrt werden können.

Eine originäre Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats im Sinne des § 58 Abs. 1 BetrVG sei vorliegend zu verneinen, da es sich nicht um eine mehrere Unternehmen betreffende Angelegenheit handele und somit eine unternehmensübergreifende Regelung nicht erforderlich sei. Das Aufzeichnungssystem werde ausschließlich von Mitarbeitern des Klinikums betrieben. Außerdem würden die erhobenen Daten weder an andere Konzernunternehmen weitergegeben noch hätten diese hierauf Zugriff. Dem stehe auch nicht entgegen, dass von der Überwachungseinrichtung Arbeitnehmer erfasst werden, die ihre Arbeit für einen konzernangehörigen Fremdarbeitgeber verrichten. Für diese Arbeitnehmer seien – auch im Konzernverbund – deren Vertragsarbeitgeber und Betriebsräte für die Einführung und Anwendung von technischen Einrichtungen zuständig. Dies folge aus dem Sinn und Zweck des in § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG normierten Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats und der damit einhergehenden Wahrung der Interessen der entsandten Arbeitnehmer.

Unser Kommentar

Neben den datenschutzrechtlichen Aspekten bei dem Einsatz von Überwachungskameras – aber auch sonstiger im Wege der fortschreitenden Digitalisierung eingesetzter Systeme – sind stets die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats zu beachten. Ohne vorherige Beteiligung des Betriebsrats darf der Arbeitgeber grundsätzlich keine technischen Einrichtungen installieren oder anwenden, § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht immer dann, wenn personenbezogene oder -beziehbare Daten erfasst werden, die dem Arbeitgeber eine Leistungs- und Verhaltenskontrolle objektiv ermöglichen.

Hierbei ist innerhalb des Konzerns die interne Zuständigkeit der Betriebsräte der jeweiligen Konzernunternehmen zu beachten. Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG muss dasjenige Konzernunternehmen, das entsprechende technische Einrichtungen einsetzen möchte, mit dem bei ihm errichteten Betriebsrat in Bezug auf die von diesem vertretenen Arbeitnehmer die Rahmenbedingungen für den Einsatz der jeweiligen Geräte bzw. Systeme regeln. Zu diesen Gegenständen gehören unter anderem Abreden über die eingesetzte Hardware, den Gegenstand und die Dauer von Aufzeichnungen sowie ihre Verwertung und Archivierung. Das Beteiligungsrecht bei anderen Konzernunternehmen beschränkt sich hingegen auf Regelungen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen die auf dem (fremden) Betriebsgelände eingesetzten Arbeitnehmer von den dort bestehenden Systemen erfasst werden.
Der Konzernbetriebsrat ist nur in Angelegenheiten zuständig, die den Konzern selbst oder mehrere Konzernunternehmen betreffen und die nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Unternehmen geregelt werden können, § 58 Abs. 1 Satz 1 BetrVG. Hierfür ist nach der Rechtsprechung des BAG ein objektives oder zwingendes Erfordernis für eine unternehmensübergreifende Regelung erforderlich. Allein der Wunsch des Arbeitgebers an einer unternehmensübergreifenden Regelung, ein Kosten- oder Koordinierungsinteresse sowie reine Zweckmäßigkeitserwägungen reichen nicht aus. In Betracht käme in diesem Fall lediglich eine zwischen Unternehmen und den Betriebsräten abgestimmte Delegation im Sinne des § 58 Abs. 2 BetrVG.

Bettina Partzsch, LL.M. (Melbourne)
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Düsseldorf
Telefon +49 211 5660 24995
bettina.partzsch@luther-lawfirm.com

 

Umdeutung einer unwirksamen Betriebsvereinbarung in eine Gesamtzusage und deren Änderbarkeit

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BAG, Urteil vom 23. Februar 2016 – 3 AZR 960/13

Eine unwirksame Betriebsvereinbarung kann in eine Gesamtzusage umgedeutet werden, wenn hinreichende Anhaltspunkte für einen entsprechenden hypothetischen Verpflichtungswillen des Arbeitgebers bestehen. Der Umdeutung von Betriebs­verein­­barungen über Leistungen der betrieblichen Altersversorgung steht keine gegenüber der Betriebsvereinbarung erschwerte Abänderungsmöglichkeit der Gesamtzusage entgegen, da sie sich im Wesentlichen entsprechen.

Der Fall

Die Parteien streiten darüber, nach welcher Versorgungsordnung sich die Betriebsrente des Klägers richtet.

Im Laufe des Jahres 1977 unterzeichneten der „Gesamt­betriebsrat“ und die „Geschäftsleitung“ eine undatierte gemeinsame Erklärung zur Änderung der betrieblichen Versorgung der Gesellschaften der Versicherungsgruppe („Gemeinsame Erklärung“), in der u.a. auf eine Versorgungsordnung in der Fassung des Jahres 1976 („VO 1976“) Bezug genommen wurde. Zu der Versicherungsgruppe gehörte auch die damalige Arbeitgeberin des Klägers. Die in verschiedenen Betrieben unterschiedlicher Unternehmen der Versicherungsgruppe gewählten Betriebsräte bildeten ein gesondertes Verhandlungsgremium, das im allgemeinen Sprachgebrauch „Gesamtbetriebsrat“ genannt wurde, ohne jedoch Gesamtbetriebsrat im betriebs­verfas­sungs­rechtlichen Sinne (§ 47 Abs. 1 BetrVG) zu sein.

Im Oktober 1977 wurde dem Kläger schriftlich mitgeteilt, dass er in das Versorgungswerk aufgenommen wurde. Die Leistungen des Versorgungswerks ergäben sich aus der VO 1976.

Im Jahre 1993 schlossen die Gesellschaften der Versicherungsgruppe und der „Gesamtbetriebsrat“ eine Betriebs­ver­einbarung zur Abänderung der VO 1976, in der u.a. festgehalten wurde, dass die anrechenbare Besoldung bei Tarifsteigerungen in Zukunft nur noch um die Hälfte des Steigerungsprozentsatzes berücksichtigt werde.

Der Kläger war der Auffassung, die Vereinbarung von 1993 habe die VO 1976 nicht wirksam abgelöst, da die VO 1976 eine nicht betriebsvereinbarungsoffene Gesamtzusage sei. Sachlich-proportionale Gründe für einen Eingriff in die erworbenen Anwartschaften wären zudem nicht gegeben. Die Beklagte ist der Auffassung, die VO 1976 sei eine Betriebsvereinbarung. Die Gemeinsame Erklärung sei Ergebnis von Verhandlungen mit dem Betriebsrat.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht hatten der Klage zunächst stattgegeben und dem Kläger eine Rente nach der VO 1976 zugesprochen. Das Landesarbeitsgericht qualifizierte dabei die VO 1976 als Gesamtzusage und verneinte die Ablösbarkeit durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung. Die nachfolgende Revision (BAG, Urteil vom 17. April 2012 – 3 AZR 401/10) hob das Urteil des Landesarbeitsgerichts auf und verwies den Rechtsstreit zurück mit der Begründung, bei der Gemeinsamen Erklärung aus dem Jahre 1977 handele es sich dem Rechtscharakter nach prinzipiell um eine Betriebsverein­barung, die durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung unter Beachtung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes abgelöst werden könne. Die Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung, an der in formeller Hinsicht erhebliche Zweifel bestünden, müsse aber zunächst geklärt werden, so dass der Klage mit der vom Landesarbeitsgericht abgegebenen Begründung nicht stattgegeben werden könne.

In der nachfolgenden Entscheidung wies das Landesarbeits­gericht Frankfurt (Urteil vom 3. Juli 2013 – 6 Sa 1321/12) die Klage ab, da alle Versorgungsregelungen von einem betriebsverfassungsrechtlich nicht existenten Organ abgeschlossen worden seien. Damit würden die Versorgungsansprüche des Klägers auf einer unwirksam abgeschlossenen Betriebsverein­barung beruhen. Eine unwirksame Regelung könne aber nicht Rechtsgrundlage für das Klagebegehren sein. Eine Umdeutung in eine Gesamtzusage scheide aus.

Die Entscheidung

Das Bundesarbeitsgericht hat die Entscheidung des Landes­arbeits­gerichts erneut aufgehoben und den Rechtstreit zurückverwiesen.

Nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist das angefochtene Urteil rechtsfehlerhaft, soweit das Landes­arbeits­gericht – ohne nähere Begründung – angenommen hat, die als Betriebsvereinbarung unwirksame Gemeinsame Erklärung könne nicht in eine Gesamtzusage umgedeutet werden, weshalb es an einer wirksamen Rechtsgrundlage für das Klage­­be­gehren fehle.

Zwar sei das Landesarbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Gemeinsame Erklärung als Betriebsvereinbarung unwirk­sam ist, weil auf Betriebsratsseite mit dem „Gesamt­betriebsrat“ ein Gremium gehandelt hat, das vom Betriebsverfassungsgesetz nicht vorgesehen ist.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist es jedoch nicht ausgeschlossen, eine unwirksame Betriebs­vereinbarung entsprechend § 140 BGB in eine vertragliche Einheitsregelung (Gesamtzusage oder gebündelte Vertragsangebote) umzudeuten. Eine solche Umdeutung kommt allerdings nur in Betracht, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, der Arbeitgeber habe sich unabhängig von der Betriebsvereinbarung auf jeden Fall verpflichten wollen, seinen Arbeitnehmern die in dieser vorgesehenen Leistungen zu gewähren. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich der Arbeitgeber von einer Betriebsvereinbarung jederzeit lösen kann, während eine Änderung der Arbeitsverträge, zu deren Inhalt eine Gesamtzusage wird, grundsätzlich nur einvernehmlich oder durch gerichtlich überprüfbare Änderungskündigung möglich ist. Ein hypothetischer Wille des Arbeitgebers, sich unabhängig von der Wirksamkeit der Betriebsvereinbarung auf Dauer einzelvertraglich zu binden, kann daher nur in Ausnahmefällen angenommen werden.

Im konkreten Fall könne jedoch davon ausgegangen werden, dass sich der Arbeitgeber unabhängig vom Bestehen einer Betriebsvereinbarung auf jeden Fall verpflichten wollte, die in der VO 1976 zugesagten Leistungen zu erbringen. Bereits vor Erlass der VO 1976 habe er in den 1960er Jahren eine Versorgungsordnung erlassen und seinen Arbeitnehmern auf deren Grundlage Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zugesagt.

Die Möglichkeiten des Arbeitgebers, sich von einer Gesamtzusage über Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu lösen, würden sich im Übrigen nicht wesentlich von denjenigen bei einer Betriebsvereinbarung über Altersvorsorgeleistungen unterscheiden. Gesamtzusagen könnten vom Arbeitgeber grundsätzlich unter Berücksichtigung der Grundsätze des Ver­trauens­schutzes und der Verhältnismäßigkeit wie Betriebs­vereinbarungen geändert werden. Der Arbeitgeber, der Leistungen der betrieblichen Altersversorgung verspricht, wolle dies nach einheitlichen Regeln, d. h. als System, erbringen. Da die Geltung der Regelungen auf einen längeren, unbestimmten Zeitraum angelegt sind, seien diese von vornherein auch für die Begünstigten erkennbar einem möglichen künftigen Änderungsbedarf ausgesetzt. Ein solches System dürfe nicht erstarren. Der Arbeitgeber sage daher mit einer Gesamtzusage im Regelfall nur eine Versorgung nach den jeweils bei ihm geltenden Versorgungsregeln zu. Nur so werde eine einheitliche Anwendung der Versorgungsordnung auf alle Arbeitnehmer und Versorgungsempfänger des Arbeitgebers, für die die Versorgungsordnung gilt, sichergestellt. Ihm stehe daher auch ohne Änderungskündigung eine Neuregelung offen.

Allerdings dürfe der Arbeitgeber auch bei einer Gesamtzusage in Besitzstände der Arbeitnehmer nur nach den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit eingreifen. Die Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung des Klägers beruhten ursprünglich auf der VO 1976, die unabhängig vom Zeitpunkt ihrer Verlautbarung eine wirksame Gesamtzusage darstelle. Diese Gesamtzusage verweise nach den dargestellten Grundsätzen dynamisch auf die beim Arbeitgeber jeweils geltenden Versorgungsbestimmungen. Der Arbeitgeber sei daher berechtigt gewesen, die Zusage im Rahmen des rechtlich Zulässigen auch einseitig zu ändern. Dass er sich dabei mit einem Gremium abgesprochen habe, das betriebsverfassungsrechtlich nicht existiere, sei unschädlich, zumal dieses auch bei der Schaffung der Regelung mitgewirkt habe. Ob bei der Änderung der VO 1976 durch die Vereinbarung von 1993 die Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Ver­hält­nismäßigkeit gewahrt worden seien, habe das Landes­arbeitsgericht bislang nicht geprüft. Deshalb wurde der Rechts­streit vom Bundesarbeitsgericht abermals an das Landes­arbeitsgericht zurückverwiesen.

Unser Kommentar

Bereits bisher entsprach es ständiger Rechtsprechung, dass unter besonderen Umständen unwirksame Betriebs­verein­barungen gemäß § 140 BGB in eine vertragliche Einheitsregelung umgedeutet werden können (siehe nur BAG, Urteil vom 19. Juni 2012 – 1 AZR 137/11).

Neu hingegen ist die aus dem Urteil zu gewinnende Erkenntnis, dass eine Gesamtzusage auch durch eine verschlechternde Gesamtzusage abgelöst werden kann. Da der Arbeitgeber im konkreten Fall bei Änderung der Gesamtzusage auch im Jahre 1993 wieder den „Gesamtbetriebsrat“ eingeschaltet hat, war auch diese abändernde Betriebsvereinbarung unwirksam. Auch sie lässt sich in eine Gesamtzusage umdeuten. In diesem Zusammenhang wäre die Frage naheliegend, ob es für Gesamtzusagen neben der Änderungsvereinbarung und der Änderungskündigung in sämtlichen denkbaren Fällen eine weitere Änderungsmöglichkeit durch eine ablösende Gesamtzusage gibt. Das Bundesarbeitsgericht konnte diese Frage offen lassen, weil es die konkrete Gesamtzusage von vornherein als dynamisch interpretierte.

Ein Arbeitgeber kann demnach im Regelfall einseitig eine auf einer Gesamtzusage beruhende Versorgungsregelung auch zum Nachteil der Arbeitnehmer abändern. Dies gilt dann, wenn die für die Abänderung von Versorgungszusagen geltenden Maßstäbe des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden.

Dr. André Friedl
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Stuttgart
Telefon +49 711 9338 21173
andre.friedl@luther-lawfirm.com

 

Vorübergehende Zuweisung einer höherwertigen Tätigkeit für mehr als drei Jahre?

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LAG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 15. März 2016 – 5 Sa 119/15

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern entschied, dass eine vorüber­gehende Übertragung höher bewerteter und besser vergüteter Aufgaben auch für mehr als drei Jahre billigem Ermessen entsprechen kann, wenn sie im Zeitpunkt der Übertragung und im weiteren Verlauf billigem Ermessen entspricht. Hierbei muss sowohl die Übertragung der Aufgaben an sich, als auch die nur vorübergehende Übertragung billigem Ermessen entsprechen.

Der Fall

Die Klägerin ist seit dem 1. September 2005 bei der Beklagten als Sachbearbeiterin in der Bearbeitungsstelle SGG beim Jobcenter (damals noch als ARGE bezeichnet) beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Tarifvertrag für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der Bundesagentur für Arbeit (TV-BA) Anwendung.

Die Beklagte ist eine gemeinsame Einrichtung der Bundesagentur für Arbeit und des Landkreises. Sie beschäftigt im Tätigkeitsbereich der Klägerin mehrere Sachbearbeiter, zudem mindestens eine Erste Sachbearbeiterin.

Als ein Mitarbeiter des Landkreises im Jahr 2010 ausschied, übertrug die Beklagte der Klägerin zum 1. Mai 2010 dessen (höher bewertete) Aufgaben als Erste Sachbearbeiterin in der Bearbeitungsstelle SGG im Bereich SGB II. Dies geschah zunächst befristet bis zum 31. Dezember 2010, da der kommunale Träger diese Position nicht neubesetzte. Gleichzeitig gewährte sie ihr nach dem TV-BA eine entsprechende tarifliche Zulage.

Ab dem 1. Januar 2011 übertrug die Beklagte der Klägerin diese Tätigkeit sodann „bis auf Weiteres“ ohne Bezeichnung eines Endtermins.

Im September 2011 wurde der Landkreis aufgrund des Kreisstrukturgesetzes Mecklenburg-Vorpommern aufgelöst, sodass eine Neuorganisation der Jobcenter erforderlich wurde. Diese wurde Ende 2013 durch den Kreistag beschlossen.

Mit Schreiben vom 28. Januar 2014 widerrief die Beklagte die Beauftragung der Klägerin zur Wahrnehmung der höherwertigen Tätigkeit zum 7. Februar 2014. Damit entfiel gleichzeitig auch die gezahlte Zulage. Die Klägerin begehrte die Feststellung, dass ihr die höherwertige Tätigkeit auf Dauer übertragen wurde und sie nach der entsprechenden Tätigkeitsebene zu vergüten ist.

Die Entscheidung

Das LAG Mecklenburg-Vorpommern entschied, dass die vorübergehende Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit auch für eine Dauer von mehr als drei Jahren die Grenzen billigen Ermessens wahre und deshalb keine dauerhafte Übertragung der höherwertigen Tätigkeit vorliege. Es wies die entsprechende Eingruppierungsfeststellungsklage deshalb ab.

Eine Eingruppierung in die und damit Vergütung nach der höher bewerteten Tätigkeitsebene hat nur zu erfolgen, wenn die höherwertige Tätigkeit nicht nur vorübergehend übertragen wurde. Im Rahmen der Entscheidung stellte das LAG zunächst fest, dass die vorübergehende Übertragung der höherwertigen Tätigkeit vorliegend an den Regeln der Ausübung des sog. Direktionsrechts nach § 106 Gewerbeordnung (GewO) zu messen sei. Insbesondere seien die Grenzen billigen Ermessens zu wahren. Bei einer nur zeitweisen Übertragung der höherbewerteten Tätigkeit müssten die Grenzen des billigen Ermessens in zweifacher Hinsicht gewahrt werden:

  1. die Übertragung der Tätigkeit muss billigem Ermessen entsprechen;
  2. die nur vorübergehende Übertragung muss billig sein.

Die Grenzen billigen Ermessens seien gewahrt, wenn eine Abwägung der wechselseitigen Interessen ergebe, dass das Interesse des Arbeitgebers an einer nur vorübergehenden Übertragung das Interesse des Arbeitnehmers an einer dauerhaften Übertragung (insbesondere auch hinsichtlich der erhöhten Vergütung) überwiege.

Bei wiederholter nur vorübergehender Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit stiegen die Anforderungen an die Gründe, die der Arbeitgeber für sein Interesse an der zeitlichen Beschränkung darlegen müsse. Eine vorübergehende Übertragung für einen unbestimmten Zeitraum könne nämlich auch im Laufe der Zeit unbillig werden.

Vorliegend bestanden nach Ansicht des Gerichts gewichtige und zudem ausschließlich betriebliche Gründe für die nur vorübergehende Übertragung. Zunächst sei die Klägerin als Ersatz für einen Mitarbeiter des Landkreises eingesetzt worden und es sei nicht abzusehen gewesen, ob der Landkreis die Stelle künftig mit eigenem Personal wiederbesetzen würde. Nach Umstrukturierung der Landkreise, in deren Rahmen auch sämtliche Arbeitsverhältnisse des Landkreises auf die Beklagte übergingen, war diese Möglichkeit nicht mehr gegeben. Dennoch sei auch im Folgenden die vorübergehende Übertragung billig gewesen, da der Personalbedarf insbesondere in den Positionen mit Leitungsfunktionen wegen der Neuorganisation der Jobcenter (aufgrund des Kreisstrukturgesetzes) nicht abzusehen bzw. ein Abbau zu erwarten gewesen sei. Es sei grundsätzlich hinzunehmen, wenn öffentliche Arbeitgeber die nur vorübergehende Übertragung einer höher bewerteten Tätigkeit mit haus­haltsrechtlichen Erwägungen begründen.

Unser Kommentar

Diese Rechtsprechung steht im Einklang mit der des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und spiegelt die derzeit geltende Rechtslage.

Das BAG führt (ebenso wie vorliegend das LAG Mecklenburg-Vorpommern) bei der nur vorübergehenden Zuweisung einer Tätigkeit, die grundsätzlich nach einem Tarifvertrag höher bewertet wäre, eine sog. doppelte Billigkeitsprüfung durch (so z.B. BAG, Urteil vom 4. Juli 2012 – 4 AZR 759/10). Das BAG verlangt gleichermaßen, dass sowohl die Übertragung der Aufgabe an sich, als auch die zeitliche Beschränkung billigem Ermessen entsprechen muss. Das BAG stellte in der genannten Entscheidung darauf ab, dass eine dauerhafte Übertragung von Aufgaben der Regelfall sei und für eine Ausnahme (nur vorübergehende Übertragung) gewichtige Gründe vorliegen müssten.

Im Falle einer wiederholten vorübergehenden Übertragung soll zudem jeder Übertragungsvorgang der gerichtlichen Überprüfung zugänglich sein (BAG, Urteil vom 17. April 2002 - 4 AZR 174/01).

Sollte die nur zeitweise Übertragung der höher bewerteten Aufgabe nicht billigem Ermessen entsprechen, können die Gerichte entscheiden, dass die vorübergehende Übertragung auf Dauer oder auch für einen (anderen) Zeitraum erfolgt ist (BAG, Urteil vom 17. April 2002 – 4 AZR 174/01). Im Fall der dauerhaften Übertragung wäre zugleich (bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen) auch über eine entsprechende Eingruppierung des jeweiligen Arbeitnehmers entschieden. 

Jana Hunkemöller
Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH
Düsseldorf
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jana.hunkemoeller@luther-lawfirm.com

Nachrichten in Kürze

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Kein Entgeltfortzahlungsanspruch während Kur ohne Arbeitsunfähigkeit

BAG, Urteil vom 25. Mai 2016 – 5 AZR 298/15

Entgeltfortzahlungsanspruch. Die Klägerin ist seit 2002 bei der Beklagten beschäftigt. Die Klägerin teilte der Beklagten mit, sich einer Kur unterziehen zu wollen. Die Beklagte weigerte sich, die Klägerin für die Dauer der Kur unter Fortzahlung ihrer Vergütung freizustellen. Die Klägerin nahm daraufhin Urlaub, um die Kur in Anspruch nehmen zu können. Sie nahm vom 4. Oktober 2013 bis 24. Oktober 2013 an einer von der AOK Niedersachsen bezuschussten ambulanten Kur auf der Insel Langeoog teil. Im dortigen Kur- und Wellnesscenter erhielt die Klägerin insgesamt 30 Anwendungen. Die Anwendungen bestanden aus je sechs Meerwasserwarmbädern, Bewegungsbädern, Massagen, Schlickpackungen und Lymphdrainagen. Zu der Kur gehörte außerdem, dass die Klägerin täglich in der Brandungszone inhalieren sollte. Die Klägerin hat Klage erhoben und geltend gemacht, der von ihr für den Zeitraum der kurgenommene Urlaub dürfe nicht auf den Urlaubsanspruch angerechnet werden. Ihr stehe vielmehr Entgeltfortzahlung zu. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts ist erfolglos geblieben. Besteht wie vorliegend keine Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit, dürfen Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation nach § 10 BurlG nicht auf den Urlaub angerechnet werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn ein Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nach den gesetzlichen Vorschriften über die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall besteht. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall setzt bei gesetzlich Versicherten voraus, dass eine ambulante Vorsorgekur vom Träger der Sozialversicherung oder einem sonstigen Sozialleistungsträger bewilligt ist und in einer Einrichtung der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation im Sinne des § 107 Abs. 2 SGB V durchgeführt wird und keinen urlaubsmäßigen Zuschnitt hat. Diese Voraussetzungen liegen bei der von der Klägerin teilgenommen Kur nicht vor. Der Klägerin stand daher für die Dauer der Kur kein Entgeltfortzahlungsanspruch gegen die Beklagte zu. Die Kur war daher auf den Urlaub der Klägerin anzurechnen.

Elternzeitantrag bedarf der Schriftform

BAG, Urteil vom 10. Mai 2016 – 9 AZR 145/15

Die Parteien streiten um den Sonderkündigungsschutz der Klägerin während der Elternzeit nach § 18 BEEG. Die Klägerin war bei dem Beklagten, der nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, tätig. Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit Schreiben vom 15. November 2013. Die Klägerin trug im Kündigungsschutzrechtsstreit vor, sie habe dem Beklagten nach der Geburt ihrer Tochter per Telefax am 10. Juni 2013 mitgeteilt, dass sie für einen Zeitraum von zwei Jahren Elternzeit in Anspruch nehme. Die Klägerin berief sich daher auf den Sonderkündigungsschutz nach § 18 Abs. 1 Satz 1 BEEG. Die Vorinstanzen haben der Kündigungs­schutz­klage stattgegeben.

Das BAG gab der hiergegen eingelegten Revision statt und wies die Kündigungsschutzklage ab. In seinem Urteil stellt das BAG fest, dass ein Elternzeitverlangen für den Zeitraum bis zum vollendeten dritten Lebensjahr des Kindes spätestens sieben Wochen vor Beginn der Elternzeit schriftlich von der Arbeitnehmerin gestellt werden muss. Das BAG stellt klar, dass es sich bei der Inanspruchnahme von Elternzeit um eine rechtsgestaltende empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, durch die das Arbeitsverhältnis während der Elternzeit grundsätzlich zum Ruhen gebracht wird. Diese Erklärung erfordere nach Auffassung des BAG die Einhaltung der strengen Schriftform des § 126 Abs. 1 BGB. Schriftform im Sinne dieser Norm bedeutet, dass die Erklärung durch den Arbeitnehmer eigenhändig durch Namensunterschrift oder mittels notariell beglaubigten Handzeichens unterzeichnet werden muss. Ein Telefax oder eine E-Mail wahre die von § 16 Abs. 1 BEEG vorgeschriebene Schriftform nicht und führe gemäß § 125 Satz 1 BGB zur Nichtigkeit der Erklärung. Da vorliegend aufgrund der Übermittlung des Elternzeitverlangens per Telefax die notwendige Schriftform nicht gewahrt war, galt für die Arbeitnehmerin kein Sonderkündigungsschutz nach § 18 BEEG. Die von dem Beklagten ausgesprochene Kündigung hat das Arbeits­verhältnis daher wirksam aufgelöst.

 

Fortsetzung der Tätigkeit nach befristeter Vertragsverlängerung

BAG, Urteil vom 7. Oktober 2015 – 7 ABR 40/14

Die Parteien streiten darüber, ob das zwischen ihnen bis zum 31. Dezember 2011 befristet vereinbarte Arbeitsverhältnis über diesen Zeitpunkt hinaus unbefristet fortbesteht. Der Kläger wurde von der Beklagen vertraglich vom 7. Juni 2010 bis zum 31. Dezember 2010 eingestellt. Mit Änderungsvereinbarungen vom 3. Dezember 2010 und 30. Juni 2011 vereinbarten die Parteien befristete Vertragsverlängerungen bis zum 30. Juni 2011 bzw. 31. Dezember 2011. Während der letzten befristeten Vertragsverlängerung erklärte der Kläger auf Nachfrage seines Vorgesetzten die Bereitschaft, weiterhin befristet für die Beklagte zu arbeiten. Daraufhin bemühte sich die Beklagte am 22. Dezember 2011 telefonisch, mit dem Kläger einen Termin für eine schriftliche Befristungsverlängerung bis zum 6. Juni 2012 zu vereinbaren. Die Beklagte teilte dem Kläger dabei ausdrücklich mit, dass ohne eine Vertragsunterzeichnung vor dem 31. Dezember 2011 keine Vertragsverlängerung zu Stande komme und sein Arbeitsverhältnis in diesem Fall am 31. Dezember 2011 ende. Zwischen den Parteien blieb streitig, ob der Kläger am 27. Dezember 2011 eine Vertragsverlängerung unterzeichnete. Der Kläger trug vor, aufgrund von Terminschwierigkeiten sei es nicht zur Unterzeichnung gekommen. Unstreitig setzte der Kläger am 1. Januar 2012 seine Tätigkeit bei der Beklagten fort und erhielt hierfür seine vertragliche Vergütung. Die Beklagte teilte dem Kläger am 23. Mai 2012 mit, dass sein Arbeitsverhältnis am 6. Juni 2012 ende. Als der Kläger am Folgetag seine Tätigkeit fortsetzen wollte, forderte ihn sein Vorgesetzter auf, die Arbeit einzustellen und das Haus zu verlassen. Der Kläger macht mit seiner Klage geltend, sein Arbeitsverhältnis bestehe unbefristet fort, weil er ohne wirksame Befristung über den 31. Dezember 2011 hinaus gearbeitet habe. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg. Nach Auffassung des BAG haben die Parteien für die Zeit nach dem 31. Dezember 2011 weder eine Befristung des Arbeitsverhältnisses vereinbart, noch sei durch vertragliche Vereinbarung oder nach § 15 Abs. 5 TzBfG ein unbefristetes Arbeitsverhältnis entstanden. Eine hierfür erforderliche übereinstimmende Willenserklärung der Parteien fehle, weil die Beklagte eine Fortführung des Vertrages ausdrücklich von der Unterzeichnung einer Vertragsurkunde abhängig gemacht hat. Hat der Arbeitgeber in den Vertragsverhandlungen den Abschluss eines befristeten Vertrages ausdrücklich unter den Vornehalt eines schriftlichen Vertragsschlusses gestellt, so ist diese Erklärung ohne Hinzutreten außergewöhnlicher Umstände dahingehend zu verstehen, dass seine auf den Vertragsabschluss gerichtete Erklärung nur durch die der Form des § 126 Abs. 2 BGB genügende Unterzeichnung der Vertragsurkunde angenommen werden kann. In der bloßen Entgegennahme der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nach dem Befristungsende liege dann regelmäßig nicht die Annahme eines vermeintlichen Arbeitsangebots des Arbeitnehmers. Zwischen den Parteien habe daher seit dem 1. Januar 2012 lediglich ein faktisches Arbeitsverhältnis bestanden, von dem dich die Beklagte jederzeit lösen konnte.

 

Anspruch auf tabakfreien Arbeitsplatz

BAG, Urteil vom 10. Mai 2016 – 9 AZR 347/15

Die Parteien streiten um die Zurverfügungstellung eines tabakrauchfreien Arbeitsplatzes. Der Kläger arbeitet in dem von der Beklagten in Hessen betriebenen Spielcasino als Croupier. Er hat durchschnittlich zwei Dienste von jeweils sechs bis zehn Stunden in einem abgetrennten Raucherbereich zu arbeiten. Der Raucherbereich verfügt über eine Klimaanlage sowie eine Be- und Entlüftungsanlage. Der Kläger hat Klage erhoben und verlangt von der Beklagten, ihn ausschließlich an einem tabakfreien Arbeitsplatz zu beschäftigen. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.

Die hiergegen eingelegte Revision des Klägers hatte vor dem BAG keinen Erfolg. Zwar hat der Kläger grundsätzlich einen Anspruch auf einen tabakrauchfreien Arbeitsplatz. Nach § 5 Abs. 1 Satz 1 ArbStättV hat der Arbeitgeber die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit die nicht rauchenden Beschäftigten wirksam vor den Gesundheitsgefahren durch Tabakrauch geschützt werden. Die ArbStättV geht davon aus, dass Passivrauchen die Gesundheit gefährdet. Dabei regelt jedoch § 5 Abs. 2 ArbStättV, dass der Arbeitgeber bei Arbeitsstätten mit Publikumsverkehr nur insoweit Schutzmaßnahmen zu treffen hat, als die Natur des Betriebes und die Art der Beschäftigung es zulassen. Die Beklagte fällt mit ihrem Spielcasino unter die Ausnahmeregelung des § 2 Abs. 5 Nr. 5 des Hessischen Nichtraucherschutzgesetzes, die das Rauschen in Spielbanken ermöglicht. Daher ist die Beklagte nur insoweit verpflichtet, Schutzmaßnahmen vor den Gefahren des Passivrauchens zu treffen, als dass die Natur des Betriebs und die Art der Beschäftigung es zulassen. Diese Verpflichtung hat die Beklagte nach Ansicht des BAG mit der baulichen Trennung des Raucherraums, seiner Be- und Entlüftung und der zeitlichen Begrenzung der Tätigkeit des Klägers im Raucherraum erfüllt.

Anspruch auf Teilurlaubstage

LAG Hamburg, Urteil vom 21. September 2015 – 8 Sa 46/14

Die Parteien streiten um die Gewährung von Teilurlaubstagen. Der Kläger ist bei der Beklagten beschäftigt, die mehrfach am Tag Shows vor Publikum anbietet. Der Kläger tritt in diesen Shows auf und wird teilweise auch an Tagen in der Nachmittags- und in der Abendvorstellung eingesetzt. In der Vergangenheit hat die Beklagte dem Kläger an solchen Doppel-Show-Tagen halbe Urlaubstage gewährt, so dass der Kläger nur in einer Show an diesen Tagen auftreten musste. Nachdem sich die Beklagte weigerte, diese Praxis fortzusetzen, klagte der Kläger auf Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet sei, ihm halbe Urlaubstage zu gewähren. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen.

Die hiergegen vom Kläger eingelegte Berufung hat im Wesentlichen Erfolg. Das LAG Hamburg verweist in seiner Entscheidung auf das Urteil des BAG vom 26. Januar 1989 (Az.: 8 AZR 730/87), in dem das BAG seine bisher vertretene Auffassung, Teilurlaubstage seien nicht möglich, ausdrücklich aufgegeben hat. Auch wenn der Rechtsanspruch auf die Erteilung von Teilurlaubstagen bisher nicht höchstrichterlich entschieden sei, stehe der Wortlaut des Bundesurlaubsgesetzes (BurlG) diesem nach Auffassung des LAG Hamburg nicht entgegen. Sinn und Zweck des BUrlG gebiete eine solche Einschränkung nicht. Bei der Erteilung von Urlaub seien die Wünsche des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Eine Abweichung von den Urlaubswünschen des Arbeitnehmers sei nur berechtigt, wenn dringende betriebliche Belange oder sozial vorrangige Urlaubswünsche anderer Arbeitnehmer dies erfordern. Insbesondere erlaube das BUrlG dem Arbeitgeber nicht, einen Urlaubswunsch des Arbeitnehmers abzulehnen, weil der Erholungszweck des Urlaubs nach Auffassung des Arbeitgebers nicht gewährleistet ist. Durch welche Arbeitsunterbrechung bei dem Arbeitnehmer Erholung eintrete, sei eine höchst subjektive und der rechtlichen Bewertung nur bedingt zugängliche Frage. Auch dem Grundsatz des zusammenhängend zu gewährenden Urlaubs des § 7 Abs. 2 Satz 1 BUrlG könne kein Verbot der Teilung von Urlaubstagen entnommen werden. Das Gebot des zusammenhängenden Urlaubs stehe unter dem Vorbehalt dringender betrieblicher oder in der Person des Arbeitnehmers liegender Gründe, um von der Regel des zusammenhängenden Urlaubs abzuweichen. Allerdings sei die in § 7 Abs. 2 Satz 2 BUrlG normierte Grenze von 12 zusammenhängenden Urlaubstagen pro Kalenderjahr zwingend einzuhalten. Gegen das Urteil des LAG Hamburg wurde die Revision zugelassen.

 

Bestimmtheit des Angebots einer Änderungskündigung

BAG, Urteil vom 17. Februar 2016 – 2 AZR 613/14

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Änderungskündigung. Die Beklagte legte zum 31. Juni 2013 ihren Betrieb still. Zur der Betriebsstillegung und den hierdurch bedingten personellen Maßnahmen hatte die Beklagte mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich vereinbart. Auf Grundlage des Interessenausgleichs unterbreitete die Beklagte der Klägerin einen Aufhebungsvertrag und einen Änderungsvertrag. Die Klägerin lehnte beide Angebote ab. Daraufhin kündigte die Beklagte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis und bot ihr gleichzeitig die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses in der Vermittlungs- und Qualifizierungseinheit zu den in einem Tarifvertrag geregelten Bindungen an. Bei Ausspruch der Änderungskündigung war der im Kündigungsschreiben in Bezug genommene Tarifvertrag noch nicht unterzeichnet. Die Klägerin nahm das Änderungsangebot unter Vorbehalt an und klagte gegen die Änderungskündigung, weil diese nicht sozial gerechtfertigt und rechtsunwirksam sei. Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen.

Das BAG gab der Revision der Klägerin statt. Nach Auffassung des BAG war das mit der Kündigung verbundene Änderungsangebot der Beklagten nicht hinreichend bestimmt. Dem Arbeitnehmer, der ein Änderungsangebot erhält, muss klar sein, zu welchen Arbeitsbedingungen er zukünftig beschäftigt sein soll, wenn er das Angebot annimmt. Andernfalls kann er keine abgewogene Entscheidung treffen. Den hierzu von der Rechtsprechung entwickelten Anforderungen genüge das von der Beklagten unterbreitete Änderungsangebot nicht. Das BAG begründet seine Ansicht damit, dass der im Änderungsangebot in Bezug genommene Tarifvertrag bei Zugang des Änderungsangebots noch nicht unterschrieben war. Damit habe noch kein dem Schriftformerfordernis genügender Tarifvertrag vorgelegen, sondern lediglich ein Entwurf. Solange kein wirksam abgeschlossener Tarifvertrag vorliegt, könne dieser noch geändert werden. Das Änderungsangebot war damit nicht hinreichend bestimmt bzw. bestimmbar.

 

Auflösung des Betriebsrats

LAG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 4 Februar 2016 – 10 TaBV 2078/15

Die Beteiligten streiten über die Auflösung des Betriebsrats wegen grober Pflichtverletzung. Die Arbeitgeberin hatte beim Arbeitsgericht die Auflösung des Betriebsrats beantrag. Ihren Antrag begründete die Arbeitgeberin damit, dass der Betriebs­rat Beschlüsse zum Besuch von Schulungen nachträglich erstellt und rückdatiert habe, um sich und den Betriebsratsmitgliedern einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Das Arbeitsgericht hat dem Antrag der Arbeitgeberin stattgegeben und die Auflösung des Betriebsrats beschlossen. Der Betriebsrat hat gegen den Beschluss Beschwerde beim LAG eingelegt.

Die Beschwerde des Betriebsrats hat Erfolg. Nach Ansicht des LAG ist ein Grund für die Auflösung des gesamten Betriebsratsgremiums nicht gegeben. Der Arbeitgeber kann die Auflösung des Betriebsrats nach § 23 Abs. 1 BetrVG nur wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten beantragen. Eine grobe Pflichtverletzung liege immer vor, wenn diese objektiv erheblich und offensichtlich schwerwiegend ist. Das Vorliegen einer groben Pflichtverletzung wird unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls beurteilt. Zu berücksichtigen sei weiterhin, dass die Auflösung des Betriebsrats eine besonders einschneidende Sanktion ist. Daher sei ein grober Verstoß nur anzunehmen, wenn unter Abwägung aller Umstände die weitere Amtsausübung für den Arbeitgeber untragbar erscheint. Maßgeblicher Zeitpunkt für diese Beurteilung sei die Beschwerdeentscheidung und nicht die Verfahrenseinleitung, da es für den Verstoß auf eine in die Zukunft gerichtete Betrachtungsweise ankomme. Ferner dürfe der Verstoß nicht von einzelnen Betriebsratsmitgliedern, sondern müsse vom gesamten Gremium begangen worden sein. Das LAG folgt dem Urteil des ArbG nicht, weil aus Sicht des LAG nicht ersichtlich sei, ob die Rückdatierung der Betriebsratsbeschlüsse vom gesamten Gremium vorgenommen worden ist oder von einzelnen Mitgliedern.

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