20.06.2018

Bindung an das Vergaberecht auch bei privaten Unternehmen? (Teil 1)

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20.06.2018

 

Bindung an das Vergaberecht auch bei privaten Unternehmen? (Teil 1)

Unterliegt ein privates Unternehmen (z.B. GmbH, AG) einem gewissen Einfluss der öffentlichen Hand – etwa durch deren Beteiligung oder Finanzierung –, stellt sich für das betroffene Unternehmen oft die Frage, ob es bei seinen Beschaffungen die streng formalisierten Verfahren des Kartellvergaberechts anzuwenden hat.

Während private Unternehmen bei ihren Einkäufen von Waren und Leistungen weitgehend freie Hand haben, sind staatliche Stellen bei ihren Beschaffungen an vergaberechtliche Verfahren gebunden. Nicht selten beteiligen sich jedoch Bund, Länder und Kommunen, auch mittels Holdingstrukturen, an privaten Unternehmen. Für das betroffene Unternehmen stellt sich dann die Frage, ob es durch Verbindungen mit der öffentlichen Hand, wie etwa durch deren Beteiligung oder Finanzierung, zum öffentlichen Auftraggeber im Sinne des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) wird. Von der Beantwortung der Frage der Einordnung eines Unternehmens als öffentlicher Auftraggeber im Sinne des GWB hängt die Verpflichtung des Unternehmens ab, seine Beschaffungen einem formalisierten Verfahren zu unterwerfen. Gerade deshalb wird diese Frage nicht selten zum Gegenstand von vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren.

Das GWB unterwirft private Unternehmen – sowohl Kapital- als auch Personengesellschaften – dem Vergaberecht, wenn folgende drei Voraussetzungen gleichzeitig erfüllt sind: (i) das Unternehmen ist zu dem besonderen Zweck gegründet worden, im Allgemeininteresse liegende Aufgaben zu erfüllen; (ii) die Erfüllung dieser Aufgaben erfolgt nichtgewerblich; (iii) es besteht eine gewisse Staatsnähe des Unternehmens.


Kann ein privates Unternehmen nichtgewerblich im Allgemeininteresse tätig sein?

Was auf den ersten Blick als ein Ausschlusskriterium für die Auftraggebereigenschaft erscheint – schließlich  erfüllen private Unternehmen in der Regel keine im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben –, ist bei genauer Betrachtung ein nicht selten anzutreffendes Tätigkeitsfeld von Unternehmen. Denn im Allgemeininteresse liegende Aufgaben im Sinne des GWB reichen von Erwerb, Verkauf und Vermietung von Immobilien über Hausmüllentsorgung bis hin zur Erbringung von Bestattungsleistungen. Es ist außerdem bereits ausreichend, dass das Unternehmen neben seinem Haupttätigkeitsfeld auch solche Aufgaben erfüllt, sei es auch nur zu einem geringen Teil. Es kommt dabei entgegen dem Gesetzeswortlaut nicht allein auf den Gründungszweck an, der freilich ein Indiz für die Tätigkeit im Allgemeininteresse sein kann, sondern auf die Art der tatsächlich ausgeübten Tätigkeit.

Private Unternehmen sind in der Regel erwerbswirtschaftlich tätig. Werden jedoch die im Allgemeininteresse liegenden Aufgaben (nehmen diese auch einen noch so geringen Teil des Tätigkeitsfeldes des Unternehmens ein) nichtgewerblich ausgeübt, wird die private Gesellschaft zum öffentlichen Auftraggeber, und so in den Anwendungsbereich des Vergaberechts mit einbezogen. Bemerkenswert ist, dass bei der Beurteilung der Nichtgewerblichkeit einer Tätigkeit die Gewinnerzielungsabsicht, die bei privaten Unternehmen nahezu immer vorliegt, nicht ausschlaggebend ist. Allgemein lässt sich die Tätigkeit jedenfalls dann als gewerblich einordnen, wenn sich der Auftraggeber bei seinem Handeln allein von wirtschaftlichen Überlegungen leiten lässt. Die Beurteilung der Nichtgewerblichkeit bedarf einer genauen Betrachtung im Einzelfall unter Beachtung der von Nachprüfungsinstanzen hierzu entwickelten Kasuistik.
 

Welches Maß an staatlicher Kontrolle ist hinreichend?

Die Staatsnähe des privaten Unternehmens, welche für die Begründung der Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber erforderlich ist, ist gegeben, wenn dieses Unternehmen derart mit der öffentlichen Hand verbunden ist, dass diese in der Lage ist, die Entscheidungen des Unternehmens über seine Aufträge zu beeinflussen.

Eine derartige staatliche Gebundenheit kann sich aus der überwiegenden Finanzierung oder aus der Kontrolle durch die öffentliche Hand ergeben.

Die Finanzierung ist überwiegend, wenn diese zu mehr als 50 % durch die öffentliche Hand erfolgt. Sie umfasst sowohl Geldzahlungen als auch sonstige geldwerte Vorteile, soweit hierfür keine Gegenleistung durch das Unternehmen erbracht wird (Die Auswirkungen staatlicher Zuwendungen bleiben Teil 2 dieses Blogbeitrags vorbehalten.) Eine überwiegende Finanzierung durch Beteiligung liegt in der Regel vor, wenn die öffentliche Hand im Besitz von mehr als 50 % der Geschäftsanteile des Unternehmens ist.

Wird mehr als die Hälfte der Mitglieder der zur Geschäftsführung oder zur Aufsicht berufenen Organe des Unternehmens von einer staatlichen Stelle bestellt, oder übt diese Aufsicht über die Leitung des Unternehmens dergestalt aus, dass unternehmerische Entscheidungen der privatrechtlichen Gesellschaft beispielsweise aufgrund vertraglicher Aufsichtsbefugnisse beeinflusst werden, ist die erforderliche Staatsnähe ebenfalls gegeben.
 

Fazit

Besteht eine Verbundenheit eines privaten Unternehmens mit der öffentlichen Hand, sollte es sich mit der Frage befassen, ob die Auftraggebereigenschaft im Sinne des GWB vorliegt. Durch die Einbeziehung privater Unternehmen in den Anwendungsbereich des Vergaberechts über die Eigenschaft als öffentlicher Auftraggeber wollte der Gesetzgeber sicherstellen, dass die öffentliche Hand auch in einer privatrechtlichen Organisationsform dem Vergaberecht unterliegt. Aufgrund von weitreichenden Konsequenzen, welche die Einstufung des Unternehmens als öffentlicher Auftraggeber mit sich bringt, sollte diese Frage insbesondere angesichts der uneinheitlichen Rechtsprechung einer sorgfältigen Bewertung im Einzelfall unterzogen werden, um zu entscheiden, ob die Beschaffung mittels eines formalisierten vergaberechtlichen Verfahrens stattfinden muss.

 

 

Jenny Tsynn
Rechtsanwältin
Associate
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