12.06.2018

Beweiswirkung eines beurkundeten Vertrages bei abweichendem Vertragsentwurf

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12.06.2018

 

Beweiswirkung eines beurkundeten Vertrages bei abweichendem Vertragsentwurf

Der Bundesgerichtshof hatte sich in seiner Entscheidung vom 10. Juni 2016 (Az. V ZR 295/14) mit der Frage zu beschäftigen, ob die nach ständiger Rechtsprechung geltende grundsätzliche Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit eines notariell beurkundeten Vertrages durch die Vorlage eines inhaltlich abweichenden Vertragsentwurfs widerlegt werden kann.

Der zugrunde liegende Sachverhalt
Der Kläger erwarb vom Beklagten ein mit einer Halle bebautes Grundstück. Bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Rechtsgeschäft handelte es sich um ein Verbrauchergeschäft. Der dem Kläger vorab überlassene Vertragsentwurf enthielt keine genauen Angaben zur Größe der Halle. Im letztlich notariell beurkundeten Vertrag wurde die Größe der Halle mit 640 m² ausgewiesen. Ferner enthielt die Urkunde eingangs eine Erklärung der Parteien, dass diese ausreichend Gelegenheit hatten, den Entwurf zu prüfen und sich mit dessen Inhalt auseinanderzusetzen.

Im vorliegenden Verfahren machte der Kläger nun Schadensersatz geltend, weil die Fläche der Halle tatsächlich nur 540 m² betrug. Seine Argumentation stütze er dabei darauf, dass die Größe der Halle im Vertragstext zugesichert sei. Der Beklagte setzte dem entgegen, der ursprünglich überlassene Vertragsentwurf habe eine entsprechende Regelung nicht enthalten und der Vertragstext sei daher nicht verbindlich. Schadensersatzansprüche könnten nur dann auf den Vertragstext gestützt werden, soweit dieser mit dem Entwurf übereinstimme.

Die Klage wurde erstinstanzlich abgewiesen und auch die vom Kläger eingelegte Berufung wurde zurückgewiesen, sodass der Kläger Revision zum Bundesgerichtshof einlegte. Das Berufungsgericht ging davon aus, dass der Beklagte die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit durch die Vorlage des abweichenden Vertragsentwurfs widerlegt habe.

Formerfordernis bei Grundstückskaufverträgen – Funktion und Nutzen
Grundsätzlich können Verträge formfrei geschlossen werden, sofern das Gesetz nicht etwas anderes anordnet. Für Grundstückskaufverträge findet sich in § 311b Abs. 1 S. 1 BGB eine solche Ausnahmeregelung, wonach diese notariell zu beurkunden sind. Dem Formerfordernis der Beurkundung durch einen Notar kommt dabei zum einen die Funktion der Belehrung und Warnung der Vertragsparteien vor etwaigen Risiken zu. Zudem dient sie dem Beweis der von den Vertragsparteien abgegeben Erklärungen. Dieser notariell beurkundete Vertrag stellt eine öffentliche Urkunde i. S. d. § 415 ZPO dar. Einer solchen öffentlichen Urkunde kommt im Klageverfahren eine besondere Beweiskraft zu: So wird aufgrund eines in dieser Form beurkundeten Vertrages die Vollständigkeit und Richtigkeit der enthaltenen Angaben vermutet. Möchte sich eine Vertragspartei zur Durchsetzung ihrer Ansprüche nun auf von dieser Urkunde abweichende Vereinbarungen stützen, so kann diese Vermutung nicht durch bloße gegenteilige Behauptungen widerlegt werden. Es ist vielmehr erforderlich, nachzuweisen, dass die Beurkundung objektiv unrichtig ist. Dazu muss voll bewiesen werden, dass die Erklärung so nicht abgegeben wurde. Es reicht insoweit nicht aus, diese Beweiswirkung lediglich zu erschüttern.

Zusätzliches Erfordernis bei Verbraucherverträgen
Sofern der Grundstückskaufvertrag darüber hinaus zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher geschlossen wird, soll gemäß § 17 Abs. 2a Nr. 2 BeurkG dem Verbraucher ein Entwurf des zu beurkundenden Vertrages durch den Notar vorab zur Verfügung gestellt werden. Sinn und Zweck dieser Vorschrift ist, dass der Verbraucher im Vorlauf ausreichend Gelegenheit hat, sich mit dem Vertragsinhalt auseinanderzusetzen. Die Vorschrift dient also dem Verbraucherschutz und soll den Verbraucher vor vorschnellen Entscheidungen schützen. Regelmäßig soll dem Verbraucher der Vertragsentwurf zwei Wochen vor dem Beurkundungstermin zur Verfügung gestellt werden. Diese gemäß § 17 Abs. 2a Nr. 2 Satz 3 BeurkG angemessene Zeitspanne wurde auch im vorliegenden Fall nicht unterschritten.

Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit einer öffentlichen Urkunde
Die Vorinstanzen nahmen an, dass der Grundstückskaufvertrag mit dem Inhalt des Vertragsentwurfs zustande gekommen sei. Dies begründeten sie damit, dass durch die in der Einleitung der notariellen Niederschrift enthaltene Erklärung der Parteien und die darin enthaltene Bezugnahme auf den Entwurf, die in der finalen Vereinbarung abweichende Angabe zur Fläche des Kaufgegenstands wegen Widersprüchlichkeit nichtig sei. Es habe somit durch die Divergenz zwischen Entwurf und Urkunde ein offener Dissens vorgelegen.

Der Bundesgerichtshof hat nunmehr entschieden, dass die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit eines notariell beurkundeten Kaufvertrages und damit einer öffentlichen Urkunde i. S. d. § 415 ZPO nicht durch die Vorlage eines Vertragsentwurfs widerlegt werden kann. Damit käme dem Vertragsentwurf selbst die maßgebliche Bedeutung zu, die der Gesetzgeber der notariellen Urkunde beimessen wollte, obwohl dieser nicht Bestandteil der Beurkundung wird. Ein bloßer Entwurf kann nicht den abschließenden Parteiwillen darstellen, da es sich nur um ein Durchgangsstadium handelt, das insbesondere dem Verbraucher die Möglichkeit geben soll, etwaige Änderungswünsche geltend zu machen. Einzig die schließlich notariell beurkundete Vereinbarung stellt dabei die endgültige, mit der Beweiskraft des § 415 ZPO ausgestattete Form dieses Entwicklungsprozesses dar.

Auch kann die Erklärung in der Einleitung des notariell beurkundeten Vertrages, dass der Entwurf vorab zur Prüfung zur Verfügung gestellt wurde, nicht dazu führen, dass der Inhalt des Entwurfs als maßgeblich und rechtsverbindlich betrachtet wird. Dies lässt sich weder dem Wortlaut noch dem Zusammenhang entnehmen. Es handelt sich vielmehr um eine bloße Formalie, die dokumentieren soll, dass der Notar seinen Pflichten aus § 17 Abs. 2a BeurkG nachgekommen ist, und nicht um eine verbindliche Erklärung oder inhaltliche Bezugnahme der Vertragsparteien.

Stärkung der Bedeutung eines notariellen Vertrages
Mit seinem Urteil hat der Bundesgerichtshof den Sinn und Zweck des Beurkundungsverfahrens bzw. des Formerfordernisses aus § 311b BGB geschützt und zugleich die besondere Beweiskraft einer öffentlichen Urkunde i. S. d. § 415 ZPO betont. Die für die Praxis enorm wichtige Bedeutung der abschließenden Verlässlichkeit einer öffentlichen Urkunde zur Sicherheit des Rechtsverkehrs wurde damit bestätigt und gestärkt.
 

 

Dr. Stephan Bausch, D.U.
Rechtsanwalt
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Maxim Oertel
Rechtsanwalt
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