22.03.2022

BAG zu Aufhebungsvertrag: „Faires Verhandeln“ oder „Pistole auf die Brust“?

Im Februar 2019 hatte das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass ein Aufhebungsvertrag unwirksam ist, wenn er wegen einer möglichen Überrumpelung unter Missachtung des Gebots fairen Verhandelns zustande gekommen ist (BAG, Urteil vom 7. Februar 2019, Az.: 6 AZR 75/18). Nun hat das BAG diese Rechtsprechung fortgesetzt und am 24. Februar 2022 (Az.: 6 AZR 333/21) konkretisiert, in welchen Fällen es nicht von einer Verletzung des Gebots des fairen Verfahrens ausgeht. Im konkreten Fall hatte die Arbeitgeberin den Abschluss eines Aufhebungsvertrags von der sofortigen Annahme des Angebots abhängig gemacht, aber nicht mit einer widerrechtlichen Drohung verbunden, weil die angedrohte außerordentliche Kündigung rechtlich ebenso vertretbar war wie die angedrohte Strafanzeige.

Zum Gebot des fairen Verhandelns beim Abschluss eines Aufhebungsvertrages

Das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2019

Das BAG entschied am 7. Februar 2019 (Az.: 6 AZR 75/18), dass ein Aufhebungsvertrag unwirksam ist, wenn er unfair zustande gekommen ist. Bei dem Gebot fairen Verhandelns handele es sich im Zusammenhang mit der Verhandlung eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrags um eine durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen (als eigenständiges Rechtsgeschäft) begründete Nebenpflicht i. S. d. § 311 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB. Eine Verhandlungssituation sei dann als unfair zu bewerten, wenn eine psychische Drucksituation geschaffen oder ausgenutzt werde, die eine freie und überlegte Entscheidung des Vertragspartners erheblich erschwere oder unmöglich mache. Hintergrund war der Fall einer kranken Arbeitnehmerin, der zu Hause ein Aufhebungsvertrag unterbreitet wurde. Parallelen zum sog. Haustürgeschäft/Fernabsatzverträgen (§§ 312 c, 355 BGB) wurden damals gezogen.

Das BAG entschied, dass eine unfaire Verhandlungssituation vorliege, durch zum Beispiel die

  • Schaffung besonders unangenehmer Rahmenbedingungen, die erheblich ablenken oder sogar den Fluchtinstinkt wecken;
  • Ausnutzung einer objektiv erkennbaren körperlichen oder psychischen Schwäche oder unzureichender Sprachkenntnisse;
  • Nutzung eines Überraschungsmoments (Überrumpelung).

Schon damals hat das BAG aber klargestellt, dass eine rechtlich zu missbilligende Einschränkung der Entscheidungsfreiheit noch nicht gegeben sei, wenn nur keine Bedenkzeit und auch kein Rücktritts- oder Widerrufsrecht eingeräumt werde. Denn das Fairnessgebot verpflichte Arbeitgeber nicht dazu, eine für den Vertragspartner besonders angenehme Verhandlungssituation zu schaffen.

Die konkrete Drucksituation und das Angebot eines Aufhebungsvertrages

In dem nun vom BAG zu entscheidenden Fall war die Klägerin seit einigen Jahren als Teamkoordinatorin des Verkaufs im Bereich Haustechnik beschäftigt. Im November 2019 wurde sie zu einem Gespräch mit dem Geschäftsführer der Arbeitgeberin gebeten, bei dem ebenfalls der Prozessbevollmächtigte Rechtsanwalt der Arbeitgeberin anwesend war. Der Klägerin war zuvor der Inhalt des Gesprächs nicht mitgeteilt worden. Sie wurde dann mit dem Vorwurf konfrontiert, in der Vergangenheit unberechtigt Wareneinkaufspreise in der EDV der Arbeitgeberin abgeändert bzw. reduziert zu haben, um einen höheren Verkaufsgewinn vorzutäuschen. Daran anschließend wurde der Klägerin ein bereits vorbereiteter Aufhebungsvertrag vorgelegt, der unter anderem. eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des 30. November 2019 vorsah. Nachdem die Klägerin etwa zehn Minuten Zeit hatte, den Aufhebungsvertrag in Anwesenheit bei beiden anderen Personen zu lesen, unterzeichnete sie ihn schließlich.

Widerrechtliche Drohung steht im Streit

Eine Woche später erklärte die Klägerin die Anfechtung des Aufhebungsvertrags, da sie durch die widerrechtliche Drohung mit einer fristlosen Kündigung, einer Strafanzeige und „sonstigen negativen Weiterungen“ zum Abschluss des Aufhebungsvertrags gezwungen worden sei. Es läge eine Verletzung des Gebots fairen Verhandelns vor, da ihr insbesondere die Einräumung von Bedenkzeit und die Einholung von Rechtsrat verweigert worden sei. Dies verletze den Grundsatz der Waffengleichheit.

Eine Drohung im Sinne des § 123 Abs. 1 Alt. 2 BGB setzt objektiv die Ankündigung eines zukünftigen Übels voraus, dessen Zufügung in irgendeiner Weise als von der Macht des Ankündigenden abhängig hingestellt wird. Den Tatbestand erachtete die Klägerin als gegeben, weil die Arbeitgeberin mit einer außerordentlichen Kündigung für den Fall des Nichtabschlusses des Aufhebungsvertrages gedroht hatte. Gleiches gelte für die Androhung der Erstattung einer Strafanzeige. Die Klägerin habe „mit dem Rücken an der Wand“ gestanden und noch nicht einmal zum Toilettengang den Raum verlassen durfte.

Uneinigkeit der Vorinstanzen

Streitig zwischen den Parteien war letztlich, ob der Klägerin mit einer fristlosen Kündigung sowie einer Strafanzeige gedroht und sie am Verlassen des Raumes gehindert worden war. Nachdem das Arbeitsgericht (ArbG) Paderborn zunächst am 3. August 2020 (Az.: 2 Ca 1619/19) feststellte, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis fortbesteht, urteilte das Landesarbeitsgericht (LAG) Hamm am 17. Mai 2021 (Az.: 18 Sa 1124/20), dass der Aufhebungsvertrag rechtswirksam sei und das Arbeitsverhältnis durch den Aufhebungsvertrag mit Ablauf des 30. November 2019 beendet wurde. Diese Auffassung bestätigte das BAG.

Das ArbG Paderborn bewertete das Vorgehen der Arbeitgeberin als widerrechtliche Drohung. Die Arbeitgeberin habe diese nicht ernsthaft in Erwägung ziehen dürfen; es stünde schon nicht fest, dass der Klägerin eine „Manipulation“ der Einkaufspreise zur Last gelegt werden könne. Entsprechend sei gegen das Gebot des fairen Verfahrens verstoßen worden.

Dagegen qualifizierte das LAG Hamm die Drohungen nicht als widerrechtlich, denn die Klägerin habe nicht nur eigenmächtig und ohne sachlichen Grund Veränderungen von Einkaufspreisen im Warenwirtschaftssystem vorgenommen, sondern auch Waren zu einem nicht abgestimmten niedrigen Preis veräußert. Die Klägerin habe nicht ernsthaft annehmen dürfen, die beklagte Arbeitgeberin werde eine derart schwere Pflichtverletzung dulden und keine Konsequenzen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses ziehen. Der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung sei ein arbeitgeberseits vertretbarer Rechtsstandpunkt. Ähnlich verhalte es sich in Bezug auf die Drohung mit einer Strafanzeige, denn ein verständiger Arbeitgeber dürfe annehmen, dass die Klägerin Straftaten (Untreue, Betrug) begangen hatte.

Darüber hinaus machte das LAG Hamm rechtlich nachvollziehbar klar, dass der Aufhebungsvertrag nicht unter Missachtung des Gebots des fairen Handelns zustande gekommen sei:

  • Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts auf Seiten der Arbeitgeberin war durch ein berechtigtes Interesse gerechtfertigt;
  • Das Verlangen, noch während des Gesprächs - ohne Gelegenheit, die Verhandlung zu unterbrechen und Rechtsrat einzuholen - verbindlich zu erklären, ob die Klägerin den Aufhebungsvertrag annimmt, sei insbesondere unter Berücksichtigung des § 147 Abs. 1 Satz 1 BGB („Der einem Anwesenden gemachte Antrag kann nur sofort angenommen werden.“) nicht unfair;
  • Das Gebot „formaler Waffengleichheit“ sei nicht dadurch verletzt worden, dass der Klägerin nicht die Möglichkeit eröffnet worden sei, ihrerseits einen Rechtsbeistand zum Gespräch hinzuziehen oder auch nur zu konsultieren. Die im Bereich der Verdachtskündigung vertretene Meinung, einen Rechtsanwalt zum Anhörungsgespräch hinzuzuziehen, lasse sich auf die Verhandlung über einen Aufhebungsvertrag – mangels einseitigem Gestaltungsrecht – nicht übertragen;
  • Eine Überrumpelungssituation habe nicht vorgelegen. Arbeitnehmer müssten damit rechnen, dass während der Arbeit Änderungs- oder Aufhebungsverträge angesprochen werden.

Bundesarbeitsgericht 2022 – Keine Widerrechtlichkeit der Drohung

Die gegen die Entscheidung des LAG Hamm eingelegte Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen. Es fehle es an der Widerrechtlichkeit der Drohungen. Ein verständiger Arbeitgeber dürfe – wie im vorliegenden Fall des schweren vertragswidrigen Verhaltens – sowohl die Erklärung einer außerordentlichen Kündigung als auch die Erstattung einer Strafanzeige ernsthaft in Erwägung ziehen. Daraus folge, dass der Geschäftsführer der Arbeitgeberin nicht unfair verhandelt habe und das Prozedere keine reine Einschüchterung gewesen sei.

Die Entscheidungsfreiheit der Klägerin sei nicht dadurch verletzt worden, dass die Arbeitgeberin den Aufhebungsvertrag entsprechend § 147 Abs. 1 Satz 1 BGB nur zur sofortigen Annahme unterbreitet habe und die Klägerin über die Annahme deswegen sofort habe entscheiden müssen. Allein aus dem Umstand, dass der Abschluss eines Aufhebungsvertrags von der sofortigen Annahme abhängig gemacht wird, sei für sich genommen keine Pflichtverletzung gemäß § 311 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB abzuleiten und zwar auch dann nicht, wenn der klagenden Arbeitnehmerin weder eine Bedenkzeit verbleibt noch Rechtsrat eingeholt werden kann.

Fazit

Die Entscheidung ist auf den ersten Blick überraschend. In der arbeitsrechtlichen Praxis sind Aufhebungsverträge ein pragmatisches Instrument der schnellen Beendigung. Aber mit Blick auf die Entscheidung des BAG aus Februar 2019 wurde Arbeitgebern in der Beratungspraxis eher zur Vorsicht geraten, jedenfalls im Hinblick auf das Aufbauen jedweder Drucksituationen und des Entscheidungszeitrahmens. Nun scheint es aber so, als seien die vom BAG aufgestellten Maßstäbe doch nicht so streng zu bewerten, wie erwartet. Abzuwarten bleiben zwar noch die Entscheidungsgründe, aber der Tenor ist aus Arbeitgebersicht begrüßenswert. Bereits jetzt wird aus der Pressemitteilung des BAG klar, dass bei Vorliegen eines validen Kündigungsgrunds nicht per se ein unfaires Verhalten vorliegt, wenn Arbeitnehmern ein Aufhebungsvertrag unter Verdeutlichung der arbeitgeberseitigen Handlungsoptionen wie fristlose Kündigung sowie Strafantrag/Strafanzeige verdeutlicht werden. Damit darf also zulässig „gedroht“ werden, ohne dass der Vorwurf der Verletzung des Gebots des fairen Verfahrens zwingend im Raum steht.

Author
Dr. Eva Maria K. Rütz, LL.M.

Dr. Eva Maria K. Rütz, LL.M.
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Katharina Gorontzi, LL.M.