08.11.2018

Post-Brexit Szenario: Braucht Deutschland einen International Commercial Court?

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08.11.2018

Post-Brexit Szenario: Braucht Deutschland einen International Commercial Court?

Seit 2011 ist in den europäischen Nachbarstaaten wie auch im internationalen Ausland vermehrt die Entstehung spezialisierter Handelsgerichte und -kammern, sog. International Commercial Courts, zu beobachten. Ihren Anfang fand diese Entwicklung mit der Errichtung der Dubai International Finance Center Courts (DIFC Courts) in Dubai. Seither sind immer mehr vergleichbare Einrichtungen, u.a. in Singapur, Frankreich, den Niederlanden und nicht zuletzt China (als Bestandteil der Belt and Road Initiative (mehr dazu hier), hinzugekommen. In weiteren Ländern, wie z.B. Belgien, befinden sich Realisierungsvorhaben noch in der Entwicklungsphase.


Die International Commercial Courts sind ein Mittel zur Beilegung internationaler Streitigkeiten alternativ zum klassischen Schiedsverfahren. Zwar werden internationale Wirtschaftsstreitigkeiten oftmals in Schiedsverfahren gelöst; die Durchführung eines Schiedsverfahrens ist jedoch nicht immer möglich. Zudem wird die Errichtung von spezialisierten Handelsgerichten in den europäischen Staaten entscheidend durch den anstehenden Brexit mitgetragen. Bisher galt London als einer der beliebtesten Austragungsorte für internationale Gerichts- und Schiedsverfahren, was im Wesentlichen auf die Beliebtheit des englischen Rechts und des Londoner Commercial Court im internationalen Wirtschaftsverkehr sowie Englisch als Lingua Franca des Rechts- und Wirtschaftsverkehrs zurückzuführen ist. An der Wahl Londons als Schiedsort dürfte sich auch zukünftig nichts ändern. Sowohl die New Yorker Konvention als auch der Arbitration Act 1996 bleiben durch den Brexit unberührt und sichern u.a. die Anerkennung und Vollstreckung von Schiedsurteilen in 159 Staaten weltweit.


Anders verhält es sich mit der Wahl Londons als Gerichtsstandort. Sobald sich Großbritannien von der EU losgelöst hat, ist die Vollstreckbarkeit britischer Gerichtsurteile in anderen EU-Mitgliedstaaten nicht mehr ohne Weiteres möglich. Zwangsläufig wird es hierdurch vermehrt zur Wahl kontinentaleuropäischer Staaten als Austragungsort von internationalen Streitigkeiten kommen. Durch die Errichtung von International Commercial Courts, die auch dem Namen nach an den Londoner Commercial Court anschließen sollen, versuchen eine Reihe von EU-Staaten nun diese Lücke zu schließen. Hauptmerkmal all dieser Handelsgerichte ist die Verfahrensführung in englischer Sprache. Seit Januar 2018 sind auch in Deutschland erste Bestrebungen in diese Richtung zu verzeichnen. So wurden an den Landgerichten in Frankfurt und Hamburg Kammern für internationale Handelsstreitigkeiten eingerichtet. Auch das LG Düsseldorf verfügt über eine Kammer für Handelssachen, die „allgemeine erstinstanzliche Sachen, soweit der Rechtsstreit einen internationalen Bezug aufweist und die Parteien übereinstimmend erklären, dass sie die mündliche Verhandlung in englischer Sprache führen wollen und auf einen Dolmetscher verzichten“ verhandelt. Zudem wird die Notwendigkeit eines internationalen Handelsgerichts in Deutschland diskutiert, das über die mündliche Verhandlung in englischer Sprache hinaus weiter an internationale Streitigkeiten angepasst ist.


Aus diesem Grund kam Anfang Oktober 2018 eine Gruppe Sachverständiger aus dem europäischen Ausland in Hamburg zusammen, um sich bei einer öffentlichen Expertenanhörung den Fragen eines Gremiums unter Leitung von Dr. Jan Tolkmitt (Vorsitzender Richter am Landgericht, gewählt zum Richter am Bundesgerichtshof) zu stellen. Diese Gruppe, bestehend aus Praktikern aus Hamburg, Paris, Amsterdam und London, wurde zu den Anforderungen, die an den Rechtsrahmen eines International Commercial Court in Deutschland gestellt werden müssten, befragt. Veranstalter waren der Rechtsstandort Hamburg e. V., zu dessen Mitgliedern neben Anwalts-, Notar- und Handelskammer auch die Hochschulen, die Justizbehörde Hamburg und das Max-Planck-Institut zählen, sowie die Frankfurter Juristeninitiative „International Litigation Exchange“.


Die Sachverständigen waren sich einig, dass das wesentlichste Merkmal eines solchen Handelsgerichts die Verhandlungsführung (Schriftsätze, mündliche Verhandlung und die Abfassung des Urteils) in englischer Sprache sein müsse. Grundvoraussetzung hierfür ist jedoch die Änderung des § 184 S. 1 GVG („Die Gerichtssprache ist deutsch.“). Ferner identifizierten die anwesenden Sachverständigen die Einführung von Wortlautprotokollen oder Vertraulichkeitsregelungen als gewünschte Merkmale eines International Commercial Courts. Hierfür sind ebenfalls Änderungen des gegenwärtigen Prozessrechts notwendig. Zudem stimmten die Sachverständigen darin überein, dass die ZPO bereits einen großzügigen Gestaltungsspielraum bietet, welcher jedoch zu oft ungenutzt bleibt. So seien u.a. das Einreichen schriftlicher Zeugenaussagen oder die Liberalisierung der Befragung von Zeugen durch Parteivertreter bereits ohne Gesetzesänderung denkbar. Auch die Verwendung von Verfahrenskalendern bzw. das Abhalten von Verfahrenskonferenzen zu Beginn des Verfahrens wären bereits nach aktuellem Prozessrecht realisierbar.


Hinsichtlich der Übernahme anderer Elemente aus dem Verfahrensrecht des Common Law bzw. der Schiedsgerichtbarkeit, wie dem Durchführen von Kreuzverhören oder von Discovery Verfahren, herrschte Uneinigkeit zwischen den Sachverständigen. So war wenig überraschend, dass die anwesenden Vertreter aus Common Law-Ländern besonders das Kreuzverhör als wesentlichen Bestandteil des Erkenntnisverfahrens verstehen, während es bei den anwesenden Praktikern aus kontinentaleuropäischen Ländern eher Ablehnung hervorrief.


Schließlich waren die anwesenden Sachverständigen einstimmig der Auffassung, dass bei der Besetzung eines International Commercial Courts in Deutschland besonderes Augenmerk auf die Fähigkeiten der Richter gelegt werden muss. Um sich international konkurrenzfähig aufzustellen, müssten die Richter sowohl über hervorragende Englischkenntnisse als auch über besondere Branchenexpertise vergleichbar den Handelsrichtern verfügen. Zu überlegen sei zudem, ob man ausländischen Juristen oder Inhouse-Counseln bzw. spezialisierten deutschen Anwälten den Zugang zur Richterbank als Laienrichter einräumt.


Deutschland verfügt über einen Rechtsmarkt, der in der ganzen Welt Anerkennung findet. So sind nicht nur deutsche Anwälte und Richter für ihre Expertise, sondern auch das deutsche Rechtssystem an sich international bekannt und ausgezeichnet (u.a. Deutschland auf Platz 6 im World Justice Project 2017-2018). Damit ist Deutschland für die Errichtung eines International Commercial Court besonders attraktiv. Ohne Änderungen des GVG und der ZPO wird jedoch kein international konkurrenzfähiges Handelsgericht entstehen können. Zu klären ist weiterhin, wie die Vollstreckbarkeit der Urteile eines International Commercial Courts im außereuropäischen Ausland gewährleistet werden soll. Mit dieser Frage ist jedoch nicht allein Deutschland konfrontiert, sondern jedes europäische Land, das ein vergleichbares Gericht plant oder bereits errichtet hat. Durch die Einführung der Brüssel-Ia Verordnung im Jahr 2015 sind innerhalb der EU keine gesonderten Vollstreckbarkeitserklärungen für die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil-und Handelssachen mehr erforderlich. An einem vergleichbar erfolgreichen Mechanismus auf der außereuropäischen internationalen Ebene fehlt es jedoch. Zwar regelt das Haager Übereinkommen über Gerichtsstandsvereinbarungen vom 30. Juni 2005 (HGÜ) internationale Gerichtsstandsklauseln zwischen den vertragsschließenden Parteien und die Anerkennung und Vollstreckung von Urteilen in einem anderen Vertragsstaat. Jedoch unterliegt das Haager Abkommen engen räumlichen Grenzen, die kaum über die Grenzen der EU hinausgehen (mehr zum HGÜ finden Sie hier und hier). So haben neben der EU lediglich Dänemark (als separater EU-Staat erst dieses Jahr beigetreten), Mexiko, Montenegro (ebenfalls erst dieses Jahr beigetreten) und Singapur das Abkommen ratifiziert. Eine Ratifizierung der Global Big Players wie den USA oder China stehen noch aus. Auch die Ukraine hat das Abkommen noch nicht ratifiziert.


Ein International Commercial Court in Deutschland könnte damit die bestehende Bandbreite an Möglichkeiten zur Beilegung internationaler Streitigkeiten vergrößern. Es sollte jedoch als internationale Alternative im Bereich der gerichtlichen Beilegung von Streitigkeiten verortet und weniger als Konkurrent zur Schiedsgerichtsbarkeit verstanden werden. Allein den in der Schiedsgerichtsbarkeit enthaltenen Möglichkeiten der Vollstreckung von Urteilen, der Vertraulichkeitsregelungen, wie auch optionaler Beweiserhebungsmethoden, z.B. anhand der IBA Rules on the Taking of Evidence in International Arbitration, wird kein Gericht in absehbarer Zukunft Konkurrenz machen können. 

 

 

Dr. Richard Happ
Rechtsanwalt
Partner
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Luca Thönes, LL.M.
Wirtschaftsjuristin
Associate
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