25.10.2019

Vertragserstellung (allein) durch „künstliche Intelligenz“?

Das Landgericht Köln untersagt Betrieb eines Vertragsgenerators – ein Dämpfer für Legal-Tech-Angebote und den technologischen Wandel auf dem Rechtsmarkt?

Background

Das Landgericht Köln hat mit Urteil vom 8. Oktober 2019 (Az. 33 O 35/19) das Legal-Tech-Angebot „Smartlaw“ des Verlages Wolters Kluver als unzulässige Rechtsdienstleistung und als Verstoß gegen das Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG) eingeschätzt. Außerdem wertete das Landgericht Werbeaussagen des Verlags als irreführend und damit unlauter im Sinne des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). In erster Instanz drang die Hanseatische Rechtsanwaltskammer damit vollumfänglich mit ihrer Unterlassungsklage gegen den Vertragsgenerator des Verlages durch.

Der Sachverhalt

Das Legal-Tech-Angebot „Smartlaw“ bietet für standardisierte Fälle eine automatisierte Vertrags- und Dokumentenerstellung an. Dabei greift es auf eine digitale Formular- und Mustersammlung zurück, mit der Nutzer nach Beantwortung mehrerer individualisierender Fragen selbst Verträge erstellen können. Geworben wurde u.a. mit den Aussagen, der Vertragsgenerator liefere „rechtssichere Verträge in Anwaltsqualität“ oder sei „individueller und sicherer als jede Vorlage und günstiger als ein Anwalt“. Im Impressum hatte der Verlag auf den Charakter der generierten Dokumente als (lediglich) Verlagserzeugnisse und nicht als Ergebnis einer Rechtsberatung hingewiesen.

Das Urteil

Dem Landgericht Köln nach sei das Angebot als erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistung im Sinne des § 2 RDG zu sehen, da es über das bloße Überlassen von standardisierten Vertragsmustern hinausgehe. Die Nutzung des Vertragsgenerators sei auf den konkreten Lebensvorgang gerichtet und erreiche durch die Beantwortung von Fragen dabei einen derart hohen Grad an Individualisierung, dass es sich nicht mehr nur um eine Darstellung eines Musters im Rahmen eines Formularhandbuches handeln könne. Insoweit unterscheide sich die Vorgehensweise nicht grundlegend von dem Vorgehen eines Rechtsanwalts. Darüber hinaus werde das Produkt ausdrücklich als Alternative zu einer Beratung durch den Rechtsanwalt dargestellt, aufgrund dessen die oben dargestellten Werbeaussagen als unlauter nach §§ 3, 5 UWG zu verstehen seien.

Wolters Kluver kündigte bereits an, in Berufung zu gehen und positionierte sich zur Entscheidung. Dem Verlag nach richte sich „Smartlaw“ nach Themenauswahl und Preisgestaltung an eine Zielgruppe, die typischerweise aus Kosten- oder Zeitgründen keine individuelle Beratung durch einen Rechtsanwalt oder sonstigen nach RDG tätigen Rechtsdienstleister in Anspruch nehmen würde, sondern ihre Verträge selbst erstellen möchte. Die Hanseatische Rechtsanwaltskammer kommentierte dagegen, dass ein Computer, der in einem Frage- und Antwort-System unterschiedliche Fragen zu der gewünschten Vertragsgestaltung stellt und dann unter Berücksichtigung der Antworten einen zusammengestellten Vertrag liefert, nicht die nötige Sachverhaltsarbeit bieten könne, weil eine Bewertung des Wertes und Wahrheitsgehaltes der Antworten der Nutzer sowie eine Hinterfragung nicht möglich sei.

Legal-Tech als „Rechtsdienstleistung“?

Legal-Tech-Angebote bleiben damit nach wie vor sehr kontrovers und umstritten. Unter welchen Aspekten kann ein Vertragsgenerator aber überhaupt „Rechtsdienstleistung“ sein? Nach der Legaldefinition des § 2 Abs. 1 RDG ist dies jede Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten, sobald sie eine rechtliche Prüfung des Einzelfalls erfordert. Bereits in der Gesetzesbegründung wird die Möglichkeit einer „Tätigkeit“ der Rechtsdienstleistung durch technische Mittel ausdrücklich genannt, sowie, dass diese nicht etwa deshalb ausgeschlossen sei, weil der Rechtsuchende keinen persönlichen Kontakt zu dem Dienstleistenden aufnehme, sondern etwa über eine Telefon-Hotline oder ein Internetforum seine konkreten Rechtsfragen prüfen lassen wolle.

Eine „Tätigkeit in konkreten fremden Angelegenheiten“ dürften individualisierte Dokumente in Legal-Tech-Angeboten wie im oben dargestellten Beispiel, die sich nicht nur in Adressdaten oder Angaben zur Vergütungshöhe erschöpfen (so das LG Köln), regelmäßig darstellen. Ob die konkrete fremde Angelegenheit allerdings eine „rechtliche Prüfung eines Einzelfalles erfordert“, ist umstritten.

Nach unserem Dafürhalten ist bei der überwiegenden Anzahl von Vertrags- und Dokumententypen aufgrund der Mannigfaltigkeit der Lebenssachverhalte und anderweitigen rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten auch diese Voraussetzung bei einem Vertragsgenerator in der Regel erfüllt (so auch die Gesetzesbegründung, nach der die Mitwirkung an einer einfachen Vertragskündigung keine Rechtsdienstleistung darstelle). Dem BGH nach ist es jedenfalls unerheblich, ob es sich um eine einfache oder schwierige Rechtsfrage handelt.

Sofern das Legal-Tech-Angebot im Ergebnis als Rechtsdienstleistung zu werten ist, muss sodann geprüft werden, ob unter Umständen ein Erlaubnistatbestand vorliegt, wobei die §§ 5 bis 8 sowie 10 RDG hinsichtlich der hier besprochenen Vertragsgeneratoren in der Regel nicht einschlägig sein dürften. In jedem Fall hat eine Einzelfallprüfung des Legal-Tech-Angebots zu erfolgen.

Praxis & Aussicht

Legal-Tech-Anbieter unterliegen nach der Entscheidung des Landgerichts Köln einmal mehr einer kontroversen Betrachtung, die es nötig macht, das eigene Angebot bzw. Vorhaben kritisch auf eine ggf. vorliegende Erlaubnispflicht sowie auf Erlaubnistatbestände nach dem RDG zu prüfen. Unter Umständen muss das Geschäftsmodell Anpassungen erfahren, um nicht als erlaubnispflichtige Rechtsdienstleistung unter das RDG zu fallen. Dies kann zum Beispiel durch eine engere und anders als bisher ausgestaltete Kooperation mit Rechtsanwälten erfolgen.

Der Vormarsch des technologischen Wandels auf dem Beratungsmarkt für Rechtsdienstleistungen dürfte derweil kaum zu stoppen sein. Dabei darf insbesondere mit Blick auf die neuen, wenig bis kaum regulierten Geschäftsmodelle, die mithilfe des Internet (Stichwort: Mietpreisbremse oder Fluggästeentschädigungen) und nicht zuletzt durch neue prozessuale Instrumente wie die Musterfeststellungsklage über ein Weniger an individueller Beratung und ein Mehr an „Massenabwicklung“ kommen, die (menschliche) Beratungsqualität nicht fehlen.

Ein erster Gesetzesentwurf zur Änderung des RDG durch Aufnahme erlaubnispflichtiger „automatisierter Rechtsdienstleistungen“ aufgrund besonderer Sachkunde in den §§ 10 ff. RDG unterlag lebhaften, eher ablehnenden Diskussionen. Die Justizminister waren auf der diesjährigen Justizministerkonferenz allerdings der Ansicht, Legal-Tech-Angebote könnten einen wichtigen Beitrag bei der individuellen Durchsetzung von Verbraucherrechten leisten – diese Angebote sollen aber von Anwälten betrieben werden um die Qualität einer individuellen Beratung zu gewährleisten. Mit Spannung wird das erst kürzlich verhandelte Urteil des BGH in Sachen wenigermiete.de des Anbieters LexFox (zuvor Mietright) am 27. November 2019 (VIII ZR 285/18) erwartet.

Auch wenn eine künstliche Intelligenz kaum vorstellbar eine rechtliche Beratung durch einen Menschen zu ersetzen vermag, kann die individualisierte Rechtsberatung mithilfe von Werkzeugen aus dem Legal-Tech-Bereich als Unterstützung anwaltlicher Beratungsleistungen durchaus eine Chance darstellen. Vorerst aber bleibt es kontrovers hinsichtlich des zulässigen Umfangs von Legal-Tech-Angeboten.

 

Murat Akgül
Associate
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